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(Foto vom 7.10.2004)
Walter Rheiner, eigentlich Walter Heinrich Schnorrenberg *18.03.1895 †12.06.1925, Schriftsteller des Expressionismus.
Ein Kurz-Portrait des Lyrikers von Andreas Karmers und Kai Branss von Neue Welt Film auf 'You Tube'im extra TAB
oder eine 'Gemäldeinterpretation'(wie mir scheint) einiger Schlüsselverse Rheiners von Andreas Karmers (www.karmers.de)

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Aus: „KOKAIN”
von Walter Rheiner

„Nacht hing groß in den Bäumen der Allee und tropfte auf seine Schultern nieder, da Tobias unter den flüsternden Ästen dahinschritt. Er ging und ging, die Allee hinauf und hinab, fast schon zwei Stunden lang.

Die Normaluhr (ehernes Gespenst an der Straßenkreuzung) zeigte schon halb elf. Im Sterben dieses Sommerabends, der in unzähligen allerzartesten Tinten hinter dem Riesenrumpf der ewigen grauen Gedächtniskirche zerfloß, war Tobias aufgebrochen – ergriffen von jener düsteren Unruhe, die immer wiederkam und ihn desto mehr quälte, je mehr er ihr zu entfliehen oder sie zu betäuben suchte im Trubel des klirrenden Cafés, jener armseligen Stube mit den roten Plüschsesseln und den grinsenden Fratzen kaltblütiger Gäste, die dort ein unwirkliches Leben führten – ein Dasein von bunten Abziehbildchen, wie sie uns als Kindern geschenkt werden. Wie oft, so auch diesmal war er dort hingeflohen vor dem Zergehen der sommerlichen Sonne, das weich über den nahen Himmel rann und seine Unruhe zum Irrsinn zu steigern drohte.

Und doch siegte immer diese Unruhe, die, wenn sie kam, ihm alle Räume verhaßt machte – sein chambre garnie so gut wie das Café oder den großen Raum der Straßen und Plätze.”


Köln

Ich komme am Dom vorbei. Der steht da - unersättlich, mit der großen in die Nacht hineingreifenden Gebärde -

Kleine weiche Kokotten stehen im Schatten der Häuser und haben jenes
mir ach so bekannte Zucken um den Mund, wenn ein großer gedunsener
Mann auf sie zutappt und mit breiten Froschfingern ihre kleine Brust betastet.

Und ich stehe auf dem Bahnhof.

Da liegt der braune Zug in den Gleisen, der nachts seine Not
von London über Ostende, Berlin und Warschau nach Moskau heult,
atmend wie ein gepeinigtes Tier.

Und ich weiß: -

Um diese Zeit sinken schwere Wolken von Schnee tief in die kanadischen Wälder;
um diese Zeit wälzt sich ein kranker, müder Krake auf dem Meeresgrund dem Tode zu;
um diese Zeit bröckelt wieder eine zermorschte Landschaft von dem greisen Monde ab. --

Und ich weiß: -

Ich empfinde das alles: das tiefe Elend, in dem ich liege, das helle Glück,
zu dem ich fliege in anderen Stunden;

in mir ist die Angst des Bibers; der Hunger des Kängurus, das unter südlichen
Sternen einsam auf flüsternden Steppen springt; meine Seele ist ein Zwinger
voll wilder Tiere, voll lauernder, boshafter Affen und nagender Hyänen;

und ich bin machtlos, arm; ich falle vor ihr nieder wie ein nackter Wilder,
der im heißen Dunst und Dunkel brütender Sümpfe die Kugelblitze um
den Kilimandscharo rollen hört; -

und doch weine ich und lache und singe mit zersprungenen Lippen;
und mein Herz glüht wie eine Perle, und meine Augen sind Diamanten: -

Meine Welt! Meine tanzende, große Welt!

Walter Rheiner


Walt Whitman

Wälder. Berge. Sternfall. Ströme.
Wolken rauschen, grauer Bart.
Lager zwischen Gräsern. Tierlaut.
Gott der Wildnis. Sonne tönt!

Städte glühen. Staaten wölben.
Pflaster knistert. Straßen schwingen.
Strahlen-Augen. Himmel-Hand.
Meeresküste. Schiff im Fernen.

Baum ins Blaue mächtig kreisend.
Reise. Fischfang. Nächtiges Feuer.
Herz, draus goldene Stürme stoßen.
Ruf ins Weltall: Sieg! und: Sieg!

Vater des Planeten. Zeus.
Blitz im Auge, mildes Licht.
An den Schultern siedeln Dörfer.
- O daß deine Hand ich hielte!

Ruhst du unter meinen Schritten?
Quillst du, Erden-Leib?
Frühling blühst du, Winter sinkst du.
Welt du, Klang und Sterne.

Walter Rheiner


Komm, holder Schnee! Verschütte dies schwere Herz!
Mit deiner Gnade zaubre die Träne starr,
so aus der ewigen Quelle rinnet,
täglich geboren, geliebt noch immer.

O gib, daß mir aus dieser verlorenen Qual,
der bittern, werde das große, das ernste Grab,
darin ich mich zur Ruhe finde:
weinende, liebend erlöste Seele.

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© W. Hartwig 2011 - [Stand: 23.01.2012]