zurück «««
↑ zum Orginal beim www.deutschestextarchiv.de/ (im Extra-Tab)

Cover

Auszug aus dem VORWORT von
ALEXANDER VON HUMBOLDT
zu dem „Tagebuch einer Reise vom Mississippi nach den Küsten der Südsee.“
von
BALDUIN MÖLLHAUSEN.

Die Verhältnisse gegenseitigen Wohlwollens und eine gewisse Gleichheit der Bestrebungen in dem Laufe ernster und wichtiger Unternehmungen haben, wie ich schon mehrmals geäussert, allein mich bewegen können, die innere Scheu und die Abneigung zu überwinden, welche ich, vielleicht mit Unrecht, von je her vor den einleitenden Vorreden von fremder Hand hege.
...

Die Schrift, welche ich jetzt unaufgefordert, aus Achtung für die rastlose und ausdauernde Thätigkeit des Verfassers in einer grossen Expedition, für die bescheidene Einfachheit seines kräftigen, überaus ehrenwerthen Charakters und für ein ausgezeichnetes, durch den Anblick der freien Natur fast allein ausgebildetes Kunsttalent, mit einem empfehlenden Vorwort begleite, macht keine Ansprüche auf physikalische Wissenschaftlichkeit, ob sie gleich über die äussere Bodengestalt und die geographischen Verhältnisse so wenig durchforschter Gegenden viel Interessantes, Selbstbeobachtetes oder bisweilen den mitreisenden Fachgelehrten Entlehntes, darbietet. Herr Möllhausen, früher angestellt als Topograph und Zeichner bei der Sendung, welche unter dem Befehle des muthigen und einsichtsvollen Lieutenant Whipple zur Bestimmung der südlichen Eisenbahn-Richtung nach den Küsten des Stillen Oceans von der Regierung der Vereinigten Staaten veranstaltet wurde veröffentlicht ein Tagebuch in dem er gleichsam als Commentar zu seinen landschaftlichen Aufnahmen und historischen Skizzen, empfangene lebensfrische Natureindrücke wiedergiebt. Überall, wo die Darstellung des Reisenden das Resultat einer sicheren und gewissenhaften Anschauung der Gegenwart ist, gewährt sie eben dadurch schon und besonders in dem, was die Zustände der Eingeborenen auf den verschiedenen Stufen ihrer Uncultur betrifft, ein wichtiges, rein menschliches Interesse.
...

Alles, was sich in Herrn Möllhausen's Reisebericht auf Ethnographie und auf die physischen und sittlichen Verhältnisse der, selten kupferfarbigen, häutiger mehr braunrothen, Ureinwohner zwischen dem Missouri und den Rocky Mountains, zwischen dem Rio Colorado und dem Littoral der Südsee bezieht, ist auf zwiefache Weise anziehend. Es berührt entweder allgemeine Betrachtungen über die bald fortschreitende, bald in ihrem Fortschritt gehemmte Cultur: oder besondere, locale, mit historischen Erinnerungen zusammenhängende Verhältnisse. Bei Verallgemeinerung der Ansicht reizen die mannichfaltigen Stufen unentwickelter Intelligenz in dem Urzustande der Horden, welche man so unbestimmt und oft so unpassend Wilde (Indios bravos) nennt, die Einbildungskraft dazu an, aus der eng begrenzten Räumlichkeit der Gegenwart zu einer geheimnissvollen Vergangenheit, zu der Zeit aufzusteigen, wo ein grosser Theil des Menschengeschlechts, der jetzt sich einer hohen Blüthe der Cultur, in Wissenschaft und bildender Kunst, erfreut, in eben solcher Rohheit der Sitte lebte.
...

Es bleibt mir am Schlusse desselben noch die angenehme Pflicht zu erfüllen übrig, den Leser daran zu erinnern, dass der Verfasser des nachfolgenden Reiseberichtes vom Mississippi und Arkansas zu den Ufern des Stillen Meeres den Vortheil gehabt hat, durch eine frühere Reise nach dem Nebraska-Flusse an das Leben unter Indianer-Stämmen lange gewöhnt zu sein. Nachdem er, der Sohn eines preussischen Artillerie-Officiers, den Militairdienst im Vaterlande mit belobenden Zeugnissen seiner Oberen verlassen, ging er, kaum 24 Jahre alt, nach dem westlichen Theile der Vereinigten Staaten: unabhängig, allein; unwiderstehlich getrieben wie es bei strebsamen und kräftigen Gemüthern vorzugsweise der Fall ist von einem unbestimmten Hang nach der Ferne, nach dem Anblick einer wilden, freien Natur. Nahe bei den Ufern des Mississippi erhielt er Kunde von dem schönen, vielversprechenden naturhistorischen Unternehmen, das Sr. K. H. der Herzog Paul Wilhelm von Württemberg nach dem Felsengebirge (den Rocky Mountains) eben vorbereitete. Der junge Mann bat um die Erlaubniss, sich diesem Unternehmen anschliessen zu dürfen, und erhielt sie auf eine edle, wohlwollende Weise. Die Expedition gelangte ohne Unfall bis in die Gegend des Forts Laramie am Platte-Fluss, als grosse Unwegsamkeit des Bodens, ein furchtbarer, allgemeines Augenübel erregender Schneefall, wiederholte Raubanfälle der Eingeborenen und das Absterben der so nothwendigen Pferde den Herzog für jetzt zum Aufgeben des Unternehmens nöthigten. Von diesem getrennt, aber sich anschliessend vorbeiziehenden Ottoe-Indianern, die ihn mit einem Pferde versahen, wandte sich Herr Möllhausen nun nördlicher nach Bellevue, dermalen dem Sitze einer Agentur und Niederlage des Pelzhandels. Nach einem dreimonatlichen Aufenthalte und thätigen Jagdleben bei den Omahas schiffte er den Mississippi herab und hatte die Freude, wieder mit dem Herzog Paul Wilhelm von Württemberg zusammenzutreffen und in mehrfachen Excursionen an der Vermehrung der wichtigen zoologischen Sammlungen dieses Fürsten mit zu arbeiten. Im J. 1852 schiffte er sich in New-Orleans nach Europa ein, von dem verdienstvollen preussischen Consul, Herrn Angelrodt, in St. Louis an der Mündung des Missouri, beauftragt, während der Reise für die glückliche Überkunft einer Zahl interessanter, dem Berliner zoologischen Garten bestimmter Thiere einige Sorge zu tragen.

Der muthigste Entschluss, mit vermehrten Kenntnissen und vermehrter künstlerischer Ausbildung, wenn gleich mit sehr beschränkten Mitteln, eine zweite Excursion nach dem Westen der nordamerikanischen Freistaaten zu wagen, stand bei Herrn Möllhausen fest. Meinem innigen und vieljährigen Freunde, dem Geh. Medicinalrath und Professor Lichtenstein, verdanke ich die Bekanntschaft des jungen Reisenden. Wie sollte ich, vielleicht der älteste unter den Reisenden dieses Jahrhunderts, der ich mich in frühester Jugend von ähnlicher, unbestimmter Wanderungslust gedrängt fühlte, nicht Interesse für den mir so warm Empfohlenen gewonnen haben? Die Huld des hochherzigen, jedem aufkeimenden Talente gern hülfreichen Monarchen gestattete es, dass Balduin Möllhausen seine sehr ausgezeichneten, physiognomisch wahren Reiseskizzen aus dem Leben der Indianer Ihm persönlich vorlegen durfte. Bei dem wachsenden Wohlwollen, dessen meine Arbeiten und Bestrebungen sich in den Vereinigten Staaten von Nordamerika zu erfreuen haben, bei den edlen Aufopferungen, welche so viele der einzelnen Regierungen dort zur Beförderung des freien geistigen Fortschrittes, besonders in allen Theilen des astronomischen, geographischen und naturhistorischen Wissens machen, durfte ich hoffen, dass Empfehlungen von mir, vereint mit denen eines anderen mir theuren Freundes, des preussischen Gesandten, Herrn von Gerolt, dem Zurückkehrenden bei den obersten Behörden und bei der edeln Smithsonian Institution von erspriesslichem Nutzen sein würden. Unsere Hoffnungen sind bald erfüllt worden. Herr Möllhausen hat selbst im Eingange zu dem Reiseberichte seine Anstellung als Topograph und Zeichner bei der, auch wissenschaftlich wohl ausgerüsteten, Expedition des Lieutenant Whipple erzählt.
...

Der Zweck der grossen Expedition unter den Befehlen des Lieut. Whipple ward glücklich erreicht am 23. März 1854 durch die Ankunft an der Küste der Südsee bei dem Hafen San Pedro, nördlich von dem californischen Missionsdorfe San Diego. Die schnelle Rückreise ging von San Francisco über den Isthmus von Panama nach New-York, so dass Herr Möllhausen nach einer Abwesenheit von einem Jahre und fünf Monaten mit seinen Sammlungen aus dem Far West und einer grossen Zahl interessanter, im Angesicht der Naturscenen sinnig aufgefasster, malerischer Entwürfe, in Berlin ankam. Diese Studien hatten sich wieder des aufmunterndsten Beifalles und der huldreichen Anerkennung des Königs zu erfreuen. Sr. Majestät hatten die Gnade, zu beschliessen, den jungen Reisenden in Ihre Dienste zu nehmen und als Custos der Bibliotheken in den Schlössern von Potsdam und der Umgebung anzustellen. Seine lebensfrischen Schilderungen der wilden Natur in der Mannichfaltigkeit ihrer Gestaltungen, des Zustandes der Uncultur eingeborener Stämme und der Sitten der Thierarten, erinnern daran, wie in empfänglichen Gemüthern tiefe Gefühle die Sprache veredeln. Was Balduin Möllhausen in einem so vielbewegten Leben, unter mannigfaltigen Entbehrungen, doch Ersatz gewährenden Naturfreunden erfahren, ist für seine geistige Ausbildung nicht verloren gegangen; denn, wie Schiller in so schöner Einfachheit sagt: „der Mensch wächst mit seinen Zwecken“.

Berlin, im Monat März 1857.


zum Anfang - zurück «««
↑ zum Orginal beim www.deutschestextarchiv.de/ (im Extra-Tab)

Erstellt am 03.02.2016 - Letzte Änderung am 03.02.2016.