TEXTE von E. O. HARTWIG
E. Hartwig - 1928
1963 Empfindung (Bewußtsein) als Wesen der Welt
13.10.1963 Die Welt wie sie ist und nicht ist.
20.10.1963 Die Welt als Ganzes hat weder Anfang noch Ende (logischerweise).
 

Empfindung (Bewußtsein) als Wesen der Welt

(Beispiele dafür)

Die Musik drückt in Klang, Rhythmus, Melodie usw. -vermöge der Mischungen des Gegensatzpaares Laut/Stille- alle großen Stimmungen sowohl der Natur-Landschaften wie sie der Mensch empfindet, als auch die großen Stimmungen der menschlichen Erlebniswelt selbst aus.

Das Theater drückt vor allem die menschliche Erlebnis- und Denkwelt bis in ihre Verästelungen der Imaginationskraft (= Ein- u. Ausdruckskraft, Ein- und Ausbildungskraft) der Natur (umgeformt oder aufgefaßt durch die menschlichen Sinne) aus.

Die Malerei, Zeichnung, Plastik, Architektur, Bildkunst aller Arten drückt alles aus, was die menschliche Vorstellungswelt nur, abstrakt oder greifbar, auffassen und in mehr oder weniger bestimmten Formen, Farben, Umrissen usw. wiedergeben kann.

Die Wissenschaft drückt in ihren nachvollziehbaren, teilweise berechenbaren, teilweise projektierten Vorstellungskreisen die Baupläne und Richtlinien der Entwicklung der Natur in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aus.

Die Technik (Kunst des Machbaren oder doch Denkbaren) drückt die Art und Weise aus, in der die Natur ihre Kräfte und Bestrebungen in Zentren ballt und in peripherische Gestaltungen umsetzt (individualisiert).

Zeit, Zahl, Kraft, Gewicht, Wärme , Raum und Gestalt (Form) werden in ihren Beziehungen zu aktuellen und individuellen Gestaltungen und Prozessen soweit wie jeweils möglich ausprobiert.

(Symbol dafür ist der allverwandlungsfähige 'Gott' Proteus der Antike. Symbol dessen ist auch Goethes Auffassung von der Anwendung der 'Technik in der Selbstentwicklung der Natur. "Gestaltung, Umgestaltung, des ewigen Wesens ewige Unterhaltung".)

Die Philosophie spürt allen Bezügen in den Bestandteilen der Natur nach und sucht die Tendenzen der innersten Regungen(Kraftlinien) der Natur aktuell und potentiell aufzuspüren.

Religion versucht die Natur selbst auf den Plan zu rufen und unmittelbare Bezüge zwischen dem Wesen der Natur und dem Wesen der Naturteile und -Formen, wie z.B. des Wesens der Menschen, herzustellen.

Religion zitiert die Natur (Naturkräfte) selbst und appelliert an den Menschen, sich dieser seiner Verkörperung als unmittelbare Naturfähigkeit bewußt zu sein, indem er seine angeborenen und eingeborenen Talente und Fähigkeiten entsprechend ausbildet und anwendet und damit zu seinem Teil das latente Bewußtsein der Natur aktualisiert und potenziert.

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Analog zu den hier gegebenen Beispielen sind alle Betätigungen individueller Lebensformen (lustvolle, grauenvolle oder indifferente) Betätigungen, Erlebnisse und -direkt oder indirekt- Bewußtsein der Natur.

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Vgl. hierzu vor allem das 'Insel-Büchlein' (alte) Nr.72, das Goethes Fragment 'Über die Natur' von 1781/82 und Emersons Aufsatz 'Natur' (184?) enthält. ----- E .Hartwig, 1963

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E.H.: Die Tatsachen als solche, wie alles Leben und Erleben überhaupt, sind nur Anlaß zu entsprechenden Empfindungen und Gefühlen.

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Th. Fontane (im Roman 'Stechlin'?) Das Ich ist nichts. Ein ewig Gesetzliches vollzieht sich, weiter nichts.

In das Gesetzliche sich schicken, das macht den sittl. Menschen und hebt ihn.

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E.H.: Je mehr ein bestimmter Mensch sich selbst verwirklicht, desto mehr verwirklicht er das von der Gesamtnatur in ihm zum Ausdruck gebrachte Bewußtsein.- Dabei muß man in jeder Phase des persönlichen (individuellen) Lebens, sowie des Zusammenlebens von Menschen beachten, daß allen ihren Funktionen, aber auch Erlebnissen und Äußerungen, unumgänglich natürliche Bedingungen zugrunde liegen.

(Nietzsche: Schild der Notwendigkeit, höchstes Gestirn des Seins. / Alles lebendige ist ein Gehorchendes.

Goethe: Kein Lebendiges ist eins, immer ist es vieles.)

 

Hölderlin: Der Mensch( 1797, Anfang)

Kaum sproßten aus den Wassern, o Erde, dir
der jungen Berge Gipfel, und dufteten,
lustatmend, immergrüner Haine
voll in des Ozeans grauer Wildnis

die ersten holden Inseln; und freudig sah
des Sonnengottes Auge die Neulinge,
die Pflanzen, seiner ewgen Jugend
lächelnde Kinder, aus dir geboren:

Da auf der Inseln schönster, Wo immerhin
den Hain in zarter Ruhe die Luft umfloß,
lag unter Trauben einst, nach lauer
Nacht, in der dämmernden Morgenstunde

geboren, Mutter Erde, dein schönstes Kind; -
und auf zum Vater Helios sieht bekannt
der Knab' und wacht und wählt, die süßen
Beeren versuchend, die heil'ge Rebe.

zur Amme sich. Und bald ist er groß; ihn scheun
die Tiere denn ein andrer ist, wie sie,
der Mensch; nicht dir und nicht dem Vater
gleicht er, denn kühn ist in ihm und einzig

des Vaters hohe Seele mit deiner Lust,
O Erd'! und deiner Trauer von je vereint;
der Göttermutter der Natur der
Allesumfassenden möcht er gleichen !

+ + + +

Vgl. auch Goethes Gedicht: Groß ist die Diana der Epheser, dessen Vorbild u. a. Apostelgeschichte 19 ist.

(Ephesos war der Hauptmittelpunkt des Handels in ganz Kleinasien und berühmt durch den zu den 7 Weltwundern der Antike gezählten Tempel der Diana.

Dieser war 130 m lang 63 m breit mit 127 Säulen, jede 17 m hoch. Vers 29 : die ganze Stadt ward voll Getümmels; sie stürmten aber einmütig zu dem Schauplatz... ('Schauplatz' war das riesige Stadttheater, das 65 000 Menschen gefaßt haben soll. Vers 34: ... erhob sich eine Stille von allen und schrien 2 Stunden: Groß ist die Diana der Epheser !)

"Da hört er denn auf einmal laut
eines grossen Volkes Windesbraut,
als gäbs einen Gott so im Gehirn,
da! hinter des Menschen alberner Stirn."

Emil Hartwig, 1963 (v631000a.txt)

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Die Welt wie sie ist und nicht ist.

von E. Hartwig

Das Weltall stellt zu jeder Zeit (in jedem Augenblick) viele kleine -und eine ganz große- Erfahrungen, Erlebnisse, Selbstverständnisse und Selbsterkenntnisse der Natur dar.

Soll man nun die solcherweise sich selbst erlebende Natur in menschlicher Weise personifizieren?

Tut man das in der Weise, wie es der Buddhismus -nicht Gautama. Buddha-, das Christentum -nicht Jesus von Nazareth-, wie es die Kirchen, nicht diejenigen Menschen, auf die sich die Kirchen berufen, getan haben und tun, dann macht man aus der Natur, die alle Erscheinungen (auch zeitliche und räumliche Faktoren) in sich schließt, einen menschlich-allzumenschlichen Popanz, den man feiern und anbeten kann, so wie man irgendwelche Menschen, z.B. 'Häuptlinge', 'Führer', 'Pharaonen', 'Heilige' usw. feiern und anbeten kann.

Wie sehr auch das menschliche Bewußtsein zugleich das eigentliche (örtlich-zeitlich fixierte, aber auch das planetarische) Bewußtsein der Natur ist -soweit wir im Bewußtsein aller Lebensformen ein Bewußtsein der Natur zu sehen berechtigt sind -so kann doch das menschliche Bewußtsein die Natur weder nachmachen noch umfassen. Insofern ist und bleibt das Weltganze (die Natur) für das menschliche Bewußtsein (also für das Bewußtsein überhaupt) unzugänglich und bleibt also im ganzen ein Gegenstand der Spekulation, also 'wunderbar'.

Das berechtigt uns aber -wenn wir die 'wahre' bzw. die wirkliche Daseinsart der Natur spekulativ erfahren und erfassen wollen- nicht, die Natur oder das Weltall zu vergotten oder zu vergöttlichen, denn das hieße in Wahrheit die Natur ganz einfach nach Art eines Menschen sehen zu wollen.- Für alles', was wir nicht bewußtseinsmäßig völlig erfassen und durchschauen setzen wir Menschen zunächst spekulative Ersatzwahrheiten = X. Dieses X anstelle der in Wirklichkeit nicht zu erfassenden Naturganzheit ist das, was man heute wie vor alten Zeiten 'Gott' oder 'Götter' genannt hat und nennt.- Das aber, was man meint, wenn man sich um den Sinn der Welt bemüht oder in persönlicher Verantwortung um persönliche Dinge arbeitet, betet oder strebt, das ist der innerste, Kern der Natur oder der sog. Geist der Natur.- Wenn Hölderlin -oder Schiller, Goethe z.B.- den 'Vater Äther' auf dichterische, d.h. spekulative bzw. symbolische Weise anruft, so meint er damit keinen persönlichen 'Gott", sondern den innersten Kern oder den Geist der Natur.

Wunsch- und wahnfreies Bewußtsein der Wirklichkeit wird Personifizierung der Natur, wie z.B. 'Gott, zweifellos unterlassen.

Zwar setzen diese Vergottungen (Personifizierungen, die eigentlich Vermenschlichungen der Natur sind) der Natur, uns "ein X für ein U", d.h. sie beruhigen die große nicht selbst denkende Masse dort, wo wir -wie Faust "nichts wissen können" mit einem Scheinwissen. Aber damit verfälschen sie das Wirklichkeitsbewußtsein und den Tatsachensinn der Menschen. Man sollte daher die Natur lieber so unzugänglich und einfach, so unnahbar im Ganzen und so gegenständlich im einzelnen lassen, wie sie ist.

Wie "Natur im Vielgebilde" nicht einen Gott nur offenbart, sondern uns erscheint, also für uns ist, so sollte man sie auch lassen und nicht, nach Art der Kirchen, eine Puppe oder eine Maschine -z.B. den "göttlichen Donnerer" oder den "göttlichen Vater" persönlich (als tatsächliche Person) dahinter suchen. (Goethe: Der Professor ist eine Person, Gott ist keine). Wenn die Kirchen aber vorgeben, mit ihrem Gott, nicht eine Person, sondern den uns Menschen im Ganzen kaum zugänglichen Sinn der Natur selbst zu meinen, dann sollen sie das auch offen und mit klaren Worten sagen, und nicht "den großen Haufen" im guten Glauben und in Dummheit halten.-

Der Sinn der Welt, soweit er menschlichem Bewußtsein zugänglich ist, liegt in der Vorstellung von dem was wirklich ist, z.B. im "erkenne dich selbst" Hiermit leisten wir stellvertretend für das Naturganze alles, was in Wirklichkeit und Wahrheit vom menschlichen Bewußtsein für das Selbsterlebnis und Selbstverständnis der Natur (von uns aus) zu leisten ist.-

Daß darüber hinaus das ganze Götter-Wesen und -Unwesen eine Kulturgeschichte und eine erfinderische (geistige) Leistung der Menschheit an sich darstellt, steht auf einem anderen Blatt und soll nicht bestritten werden.

Hierin zeigt sich einmal mehr die imaginäre Unerschöpflichkeit des menschlichen Bewußtseins, d.h. der "Welt als Vorstellung".

E. Hartwig, 13.10.63 (v631013a.txt)

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Die Welt als Ganzes hat weder Anfang noch Ende (logischerweise).

Wenn aber in der Welt etwas zu Ende geht, kaputt geht, oder (wenn es eine lebendige Naturform ist) aufhört zu leben, so bedeutet das nichts anderes, als daß neue, entsprechende Formen wieder entstehen. Ob es sich um vergehende', bzw. werdende Galaxien, Autos, Gedanken, Lebewesen, Pflanzen, Atome, Kräfte, Räume, Zeiten usw. handelt - wo etwas vergeht, bedeutet dies kein wirkliches Ende (so etwas gibt es überhaupt nicht), sondern stets einen neuen Anfang.

Nun wird die menschlich-allzumenschliche Frage gestellt: Wo bleibt das Ich-Bewußtsein, daß doch beim Menschen, wie bei vielen Lebewesen, zeitweise vorhanden ist?

Ja, zeitweise ist es vorhanden, aber eben nur zeitweise. Ein Erzeugnis, ein Produkt der stets wiederkehrenden Prozesse im Leben der Natur. (Im Ring der Ringe, im lebendigen Kreislauf der überdimensionalen Natur). Im Rahmen der allgemeinen Bewußtseinsbildung der Natur vertritt das Ich-Bewußtsein der Lebewesen das (örtlich-zeitlich begrenzte) Ich-Bewußtsein der Natur.- Das menschliche Ich-Bewußtsein (das beim Säugling und während des Schlafes, der Ohnmacht usw. nur latent vorhaben ist) bedarf, wie alles was der Vergänglichkeit unterliegt, der Erneuerung. Dies Bewußtsein ist an die jeweilige Körperlichkeit, sowie an die intensive Berührung und Vermengung dieser Körperlichkeit mit der Außenwelt (materiell und bewußtseinsmäßig gesehen) gebunden. Somit erneuert sich zugleich mit der Erneuerung einer Körperlichkeit der Natur das betreffende örtlich und zeitlich gebundene und bedingte Bewußtsein der Natur.

Dies Bewußtsein nennt sich zeitweilig (in Verkennung der wahren Situation, was schon Buddha durchschaut und erläutert hat) "Ich", es ist aber kein Ich, keine Person, keine "unsterbliche Seele", sondern es ist, wie alles Lebendige, das örtlich-zeitlich-dinglich beschränkte Bewußtsein der Natur. (Alles nicht Lebendige ist nur Untergrund und Vorbedingung des Lebendigen. Es ist daher nicht richtig, wenn man sagt, daß irgendeine Naturform, irgendeine Art von Dasein, ganz und gar vergehen kann. Das einzige was

passieren kann, wenn irgend etwas in der Natur vernichtet oder zerstört wird ist, daß etwas Neues bzw. Anderes entsteht. Auf diese Weise und in ganz bestimmten Kreisläufen (für die jeweils unbeschränkte Zeiten, Räume, Materialien, Kräfte, Eigenschaften aller Art bei ihrer Individualisierung bzw. ihrer Entwicklung oder Gestaltung (Erscheinung) zur Verfügung stehen) entstehen und vergehen immer wieder zu ihrer Zeit ("Geburt") die integrierenden Bestandteile (Organe) im Leben der Natur'.

E. Hartwig, 20.10.63 (v631020a.txt)

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Erstellt am 07.10.98 - Letzte Änderung am 03.11.1998.

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