Dichtungen von Emil Hartwig aus den Jahren 1956 - 1959
(Stand 29.04.2018 - 90 -)

Abschied  /   Alle  /   Alleins  /   Alles fließt  /   Alle spielen  /   Apparat und Bewußtsein  /   A u f b l i c k  /   Aufforderung zum Tanz  /   Bei der Ewigkeit zu Gast  /   Bei sich sein  /   Chacum à son goút  /   "Das ist der Alten/ist der Neuen Brauch:  /   Das wühlt und wühlt solang es lebt,  /   Den Toten  /   Den Teufel  /   Der Einzige  /   Der Einzige und sein Eigentum  /   Der Querschnitt  /   Der Sinn der Welt  /   Der Staat bin ich  /   Der Vater aller Dinge  /   Die das Leben tragen  /   Die Hegel'sche Schule  /   Die Kraft des großen Haufens  /   Die Lust  /   Dieses: Wer bin ich/wer ...  /   DU BIST DIR SELBST IM WEGE  /   Eigener Sinn  /   Eigentum  /   Ein Lächeln hindert ja die Wahrheit nicht  /   Ein Geist  /   Ein Menschenkind  /   Einsicht  /   Erde einst - jetzt Haut und Haar  /   Es muss  /   Excelsior  /   Fliesst eine Quelle in endloser Fülle  /   Für den Kern des Lebens lasset uns danken  /   Grabschrift  /   Hat uns die Zeit? Haben wir die Zeit?  /   Ich bin zu meinem Teil Natur  /   Ich messe mich nicht an Anderem  /   Ich - Quark  /   Ick sülwst  /   Im Zeichen Max Stirners  /   Im Zweifel  /   In - Dividuum  /   Inwendig räsonieren.  /   Jahreszeiten  /   Keiner hat Schuld  /   "Keiner weiß,  /   "Kommen und Gehen"  /   Landsknecht, Grenadier ...  /   L'état c'est moi.  /   Lichtwelt  /   Lob der Dummheit  /   Mitglied  /   Motto  /   Nach Stirner:  /   Natur und Welt  /   Nichts von alledem  /   Nitschewo  /   Notwendigkeiten  /   Personal  /   Phänomenologie des Geistes  /   Selber sei dein Licht und leuchte  /   Selbstlauf  /   Selbstbehalt  /   Seufzer  /   So oder so  /   Status quo  /   Stirner redivivus  /   suum cuique  /   Universal  /   Vertrag kommt von Vertragen  /   "Vom Ganzen gehn die Dinge aus,  /   Von Natur aus  /   "Was ich nur pro Forma bin,/..."  /   Was ihr wollt  /   Was niemand wissen kann wird doch erlebt  /   "Wat mött, dat mött"  /   Wer bin ich, wer ...  /   Wer kann dafür ...  /   Wie da die Wolken schweben  /   Wie in dem Fluss die Wellen jagen  /   Wie man richtig handeln sollte  /   Wirklichkeiten im Ausgleich  /   Wundersames treibt das Meer  /   Zugleich  /   Zum Träumen geboren  /  

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Mitglied

Ich messe mich nicht an Anderen,
Ich messe mich an der Natur,
wie sie ein einzig Eines ist,
so bin ich einzig nur.

Sie ist das Ganze, ich der Teil,
sie ist mein wahres Wesen.
In diesem Bilde ganz und heil
bin ich von mir genesen.

Ich bin zu meinem Teil Natur
und alle ihre Formen,
sie sind nur ihres Geistes Spur,
sind ihres Geistes Normen.

"Ich will, ich muß, ich darf, ich soll,"
das sind ja alles Phrasen.
Wir sind Natur, sind von ihr voll,
sind ihres Lebens Phasen.

Drum laßt uns sein was einzig ist:
Natur an allen Enden.
Natur ist alles und du bist
geformt von ihren Händen.

E. Hartwig, 1956 (v560001g.txt)

Wie da die Wolken schweben

Wie da die Wolken schweben,
so schweben wir vorbei.
Wer fragt, ob da ein Leben,
ob da ein Wesen sei ?

Auch Menschen kondensieren
und kulminieren sich.
Sie grübeln und parlieren
und sagen "Du" und "Ich".

Und wenn sie dann vorübergehn,
dann fragen sie beklommen,
ob sie sich 'drüben' wiedersehn,
ob sie ins 'Jenseits' kommen?

Die Wolke, die da oben schwebt,
die könnte dazu sagen:
Macht es wie ich ihr Leute, lebt,
stellt keine dummen Fragen.

E. Hartwig, 3.1.1956

Stirner redivivus

DER MENSCH UND ALLES WAS ER WEISS,
DAS IST EIN WAHRER TEUFELSKREIS.
Der ganze Dreck hält uns in Bann,
das man nur Unsinn machen kann.

Vernunft beweist der Mensch allein,
der nicht mehr hört auf „groß“ und „klein“
der nicht mehr hört auf „gut“ und „schlecht“
der nicht mehr fragt, ob „falsch“, ob „recht“.

Der sieht und hört in all dem Mist
was wirklich jetzt zu machen ist.
Der dies zu seiner Sache macht
und über alles andre lacht.

E. Hartwig, 4. Jan. 1956 [Tagesstempel]

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Personal

ACH, ALLES PERSÖNLICHE DRECK UND MIST;
ELENDER ZANK UND SCHLIMMERES IST.
Könnten wir ohne Personen leben,
würde es keine Enttäuschungen geben.

Personen, die immer nur Messer schärfen,
um zu schneiden an unseren Nerven.
Personen, die niemand in Ruhe lassen,
die nichts so, wie das Sachliche hassen.

Von allen Personen die schlimmste ist
jene Person, die du selber bist.
Kannst du selber ohne dich selber sein,
so wirf auf die andern den ersten Stein.

E. H. 14.01.56

              ***

Nur durch Fehler wirst du lernen,
nur durch Rückschritt vorwärts gehn.


              ___

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Der Einzige und sein Eigentum

Soll leben ich für euch? Für mich?
Ein Rätsel ist es fürchterlich.
Muß ich mein Leben für euch geben?
Könnt ihr nicht für euch selber leben?

Und wenn ich's wollte, geht's denn an,
daß man für Andre leben kann?
Der Esel in der Löwenhaut,
ist's nicht ein Bild, daß jedem graut?

Ich ford're auf euch klipp und klar:
macht euer eig'nes Dasein wahr.
Das ist ein doppelt falscher Schluß,
Daß man für andre leben muß.

E. Hartwig, 15.1.56

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Was ihr wollt

Daß ich das eine vielfach teile,
das macht der Welt so kurze Weile.
Die Welt, sie wurde eine Bühne
des Heldentums und der Rankühne.

In Bühnenrollen, endlos vielen,
seh ich seitdem die Menschen spielen.
Und spielt sich Jede, spielt sich Jeder,
so ziehn gewaltig sie vom Leder.

Sie sterben hin in Liebesschwüren!
Sie leben groß in Starallüren!
Romeo ist und Julia
seitdem millionenfältig da.

Oh, daß ich diese Welt geschaffen!
Ich könnte mich in sie vergaffen!
O Welt! Und aus dem einen Grunde:
Ich hatte meine Schöpfungsstunde.

E. Hartwig, 15.1.56

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DU BIST DIR SELBST IM WEGE,

DU BIST DIR SELBST IM WEGE,
räum' mit dir selber auf.
Du selber bist die Hemmung
in deinem eig'nen Lauf.

Denn nur mit eig'nen Ketten
hält sich der Mensch in Haft
und nicht das Äuß're mindert
ihm seine inn're Kraft.

Kein Wesen wird gehalten,
das sich nicht selber hält.
Du hast ein eig'nes Wesen
bist eine eig'ne Welt.

E. H. 18.01.56
(v560118g.txt)

WIE IN DEM FLUSS DIE WELLEN JAGEN

Wie in dem Fluss die Wellen jagen
wie Steine aneinanderschlagen,
so schlagen sich nach altem Brauch
die Menschen aneinander auch.
(nicht miteinander!)

Oft liegen sie auch still am Ort
oft treiben sie zusammen fort,
doch hin und her und ab und zu
treibt sie der Fluss aus ihrer Ruh.

Wenn so ein Stein nun denken kann,
wie manche Frau und mancher Mann,
macht er den Strom des Lebens
zum Standpunkt seines Strebens.

E. Hartwig, 2. FEB 1956

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Die Lust

Das war die Lust am Fleische,
Das war die Lust am Sinn.
Wir waren in der Sache,
wir waren mitten drin.

Die Lust hat uns geschaffen,
Lust schafft uns wieder ab.
Aus Lust sind wir entstanden,
in Lust ist unser Grab.

E. Hartwig, 1956?
(v560707g.txt)

Eigentum

Wir sollen uns nicht selber gehören,
sollen uns mit Ideen zerstören.
Wir aber pfeifen darauf -
schlagen eigene Blätter auf.

Da steht schwarz auf weiß geschrieben:
wer sich selber treu geblieben,
eigenes Erbe treu bewahrt,
der nur ist von guter Art.

Der nur kann einmal erfüllen
seinen eignen tiefsten Willen,
der mit aller seiner Kraft,
was er will, auch selber schafft.

E. Hartwig, März 1956

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Aufforderung zum Tanz

Dieser Frühling führt uns beide
wieder auf die grüne Weide.
Wollen wahrlich nicht vergessen
uns genügend vollzufressen.

Diese faulen Teufelsbraten,
die uns in den Weg geraten,
in die Hölle schleunig sende,
daß ihr Wünschen sich vollende.

Selber aber wollen wir
himmlisch leben jetzt und hier.
denn es gibt in keinem Himmel
dieses herrliche Gewimmel.

E. Hartwig, März 1956

suum cuique

Jedem das Seine !
Wo bleibt da das Allgemeine ?

Mein Freund, das Allgemeine ist
nichts andres als du selber bist.

Es existiert nicht anders als
in Einzelheiten allenfalls.

Das Allgemeine kann sich nur probieren.
Paß auf! Es wird sich individualisieren.

E. Hartwig, März 56 (v560303g.txt)

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Nach Stirner:

"O Ewigkeit, du Donnerwort!"
Sag 'ich' - und das Gespenst ist fort.

E. Hartwig, 10.3.56

Seufzer

Und dieses ist's, dass wir nie in das Ganze
der Dinge kommen, dass wir nie
der ganze Mensch sind. Aber dass
den Durst allein das Universum stillt.

So sagt uns jeder: lieber Freund,
sei zahm. Und stille deinen Durst partiell.
Denn du wirst stantepeh zur Hölle fahren,
wenn du, wie Vishnu tat, das Weltall trinkst

E. Hartwig, 11.3.56

Alles fließt

Wenn du dich regst,
regt alles sich,
und wenn du ruhst,
ruht alles sicherlich.

Du aber kannst nicht ruhn,
mußt tätig sein.
So ist auch überall
die Ruhe Schein.

E. Hartwig, 17.3.56

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Hat uns die Zeit? Haben wir die Zeit?

Hat uns die Zeit? Haben wir die Zeit?
Die Frage scheint nicht sehr gescheit.
Doch glaub' ich, dass du sie verstehst,
wenn du mal unter Zeitdruck stehst.

Wie sicher fährt dein Lebensschiff,
hast du die Zeit in deinem Griff.
Ist dir des Lebens Sinn bekannt,
hast du die Zeit in deiner Hand.

Des Lebens Linien zu verstehn,
musst du das Leben selber sehn.
Musst redlich schauen an und um,
musst meiden weder klug noch dumm.

Nicht böse sein, nicht gut gesinnt,
halb wie ein Mann, halb wie ein Kind,
und keine, keine Mühe scheu'n, -
dann wirst du deiner Zeit dich freu'n

E. Hartwig, 19.3.56

NOTWENDIGKEITEN

Notwendigkeiten
sollen uns geleiten.

Richtig uns beschränken
Lasset uns bedenken.

Nichts zu übertreiben,
dabei lasst uns bleiben.

E. Hartwig, 21.3.56

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Die Hegel'sche Schule

Bei Hegel haben sie gesessen,
haben alle dasselbe gefressen.

Heine hat es nur halb verdaut,
hat es immer wieder gekaut.

Der Andre hat's gehört, bedacht,
und hat Marxismus draus gemacht.

Der dritte hörte Hegel an
und schrieb den 'Einzigen' sodann.

Haben Hegel zwar gefressen,
selbst sich produziert indessen.

E. Hartwig, 22.3.56

Ein Lächeln hindert ja die Wahrheit nicht

Ein Lächeln hindert ja die Wahrheit nicht,
die Wahrheit kümmert sich um kein Gesicht.
Du tust ihr keinen Dienst und keinen Tort,
sie geht auf ihrem Wege einfach fort.

Du freunde dich mit deiner Wahrheit an,
du wirst dich selber erst entdecken dann.
Du kennst dich nicht, du kennst nur deine Sünden,
du wirst dich erst in deiner Wahrheit finden.

E. Hartwig, 22.3.56

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Selbstbehalt

Die Andern geben nichts dazu,
sie nehmen auch nichts weg.
Bemühe dich, mein teurer Freund,
um deinen eig'nen Dreck.

Es gibt viel Zank, es gibt viel Streit,
es gibt auch viel Halloh,
doch wirst du deines Lebens, Freund,
nicht durch die andern froh.

Höchst einfach ist ja das Rezept,
ach bitte, merk es dir:
Ein jeder kehre emsiglich
vor seiner eig'nen Tür.

E. Hartwig, 3.4.56

Im Zweifel

Mitleid ist Quatsch,
wenn man nichts machen kann.
Dich geht kein Leid,
auch nicht das eigene, an.

Tu was du mußt,
tu was du sollst und willst;
sei überzeugt,
daß du dein Leiden stillst.

Und kehrt ein jeder so
vor seiner Tür,
dann jagen alles Leid
zum Teufel wir.

Und will ein Leid uns
gar verschlingen eben:
Wer nicht verzeifeln kann,
der muß nicht leben.

E. Hartwig, 3.4.56 (v560404g.txt)

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Jahreszeiten

Frühlingssonne bricht sich Bahn
durch des Winters Schwaden,
will uns zu erneuter Lust,
Licht und Freude laden.

Welche Freude macht es doch,
daß die Jahreszeiten
uns des Lebens äußres Bild
immer neu bereiten.

Dreht so Welt und Erde sich,
drehn wir uns nicht minder.
Alt wird neu und neu wird alt,
Manner, Weiber, Kinder.

E. Hartwig, 11.4.56

Vertrag kommt von Vertragen

"DU LIEBST MICHT NICHT!" - will sagen, daß
du endlich eingesehen hast,
die Liebe and'rer ist für dich
nicht immer eine süße Last.

Es kommt der Ort, es kommt die Zeit,
da platzt dir Kragen oder Kleid,
und, statt gesüßter Liebe
setzt es gesalzte Hiebe.

Drum sollte jeder Partner sich
der Liebe, sagen lassen,
es könnte sein, sie wendet sich
und schlüge um in Hassen.

"Cum grano salis" wende drum
die Liebe immer an.
Erwarte, daß man Liebe nur
Für Liebe geben kann.

E. Hartwig, 17. 5. 56

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Inwendig räsonieren.

A: "Nur frei von allem ist man frei."
B: "Dann ist man tot: ist "einerlei"

A: "Na ja, dann bist du frei erneut
Als der, der allem Stoff gebeut."

B: "Hast du dann einen Leib gewählt,
Wirst du ein Leben lang gequält."

A+B: "Wie schön, so zwischen Tod und Leben
Als "frei" und "unfrei" hinzuschweben."

E. Hartwig, 21.5.1956

Lichtwelt

Schaumgeboren schwebt sie heran,
aus Wasser und Licht die Wolke gerann.

Da schwebt ein Tröpfchen am anderen dicht,
ein schwebender Schimmer von gleißendem Licht.

Und anders entsteht im Weltall nichts,
wie die Wolke entsteht vom Einfluß des Lichts.

1. Version:
Und anders entstand im Weltall nichts,
wie die Wolke entstand vom Anstoß des Lichts. (1. Version)


E. Hartwig, 10.8.56

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Selbstlauf

Zähl Verlust nicht und Gewinn,
gib nur her und nimm nur hin.
Innen, außen regungslos,
wenig Leiden sind da bloß.

Innen, Außen gleicherweise,
innen Ruhe, außen leise.
Auch natur, wie unbeteiligt,
doch das kleinste Würmchen heiligt.

E. Hartwig, 12.10.56


Zugleich

Das Dumme ist, daß man ein Mensch ist,
der alles nur von sich aus sieht,
der vorschnell und affektvoll handelt
mit allzumenschlichem Gemüt.

Ja, wer summarisch handeln könnte,
so unbestimmt wie die Natur.
Für alles Interesse haben,
im Größten, Kleinsten spielen nur.

E. Hartwig, 22.10.56

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Wundersames treibt das Meer

Wundersames treibt das Meer
alle Tage zu mir her.
Vieles nur vorübertreibt.
Manches aber liegen bleibt.

Manches auch mit schnellem Griff
hebe ich ins schwanke Schiff.
Melodien schweben her,
Bilder, Worte, inhaltsschwer.

Die Natur ein Wellenspiel
treibt der Dinge wunderviel.
Alle winken alle rufen
sich auf ungezählten Stufen.

E. Hartwig, 11.11.56
(v561111g.txt)

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"Kommen und Gehen"

Um's Sterben - wie dumm -
kommt man nicht herum.
Und doch wäre man lieber keiner,
als immer und ewig unsereiner.

Eine zeitlang hat man sich wohl gern
und außerdem andere Damen und Herrn.
Doch bald wirds mulmig auf allen Triften
und man geht stiften.

Denn lange hält es niemand aus,
in seinem alten Seelenhaus
wird es doch äußerst unbequemlich
und - leider Gottes - unansehnlich.

So ist es denn kein böses Muß,
macht man mit seinem Leben Schluß.
Denn von Natur, das weiß man gut,
ist alles unter einem Hut.

Aus diesem Hut ist man genommen,
man kann in keinen andern kommen.
Wir leben und wir sterben gut
in der Natur, in ihrer Hut.

E. Hartwig, 18.11.56

Excelsior

Maschin kaputt - das ist der Sachen Ende
und dies Verfahren der Natur spricht Bände.
Es sagt, daß von Natur das Lebewesen
so ist und bleibt als wär es nie gewesen.
So ist, als wär Natur die ganz All-Eine,
und aller Menschen "Freiheit die ich meine",
und aller Lebewesen Tun und Treiben,
sie sind Natur und müssen es auch bleiben.
Natur ist da und alles Gehn und Kommen
hat seinen Willen der Natur entnommen,
ist selbst Natur und sollte es verschwinden,
in der Natur muss es sich wiederfinden.

E. Hartwig, 56/11 (An Kulh.*) 56/12)

*)Emil Kulhavy (13a) Chammünster Nr. 54, bei Cham (Obpf.)

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Alleins

„Entbehren sollst du, sollst entbehren!“ —
das können wir von Goethe hören.
Wer denn und was soll da entbehren?
Wem will man den Genuss verwehren?

Ganz einfach! — Jeder ist gemeint,
der sich als Mensch, als Ich erscheint,
und der mit aller seiner Kraft
Macht und Genuss für sich erschafft.

Der aller Welt zu bringen strebt,
was einen Menschen nur erhebt.
Der keine Kunst und Mühe scheut
zu tun, was jeden Menschen freut. —

Im Grund ist alles einfach ja,
denn immer ist die Rettung nah,
wie stark auch das Verhängnis sei,
es löscht uns aus, es macht uns frei.

Was ist ein Ich? Dass Gott erbarm!
Doch die Natur hält uns im Arm.
All unser Ich- und Selbstgefühl
ist Eitelkeit und dummes Spiel.

„Entbehren sollst du, sollst entbehren??“
Von Goethe woll'n wir lieber hören:
„Natur hat weder Kern noch Schale
alles ist sie mit einem Male“.

E. Hartwig, 6.12.1956
(v561205g.txt)

Selber sei dein Licht und leuchte

Selber sei dein Licht und leuchte
nicht durch ein geborgtes Licht.
Höre selbst den Klang der Sphären,
hör mit fremden Ohren nicht.

Fühle selbst den Schlag des Herzens
der den Strom des Blutes treibt.
Fühle, dass an Leib und Seele
alles strömt und garnichts bleibt.

Denke selbst des Lebens Wunder,
denke seine Leiden aus.
Selber geh in alle Fernen,
selber geh den Weg nach Haus.

Doch in deinem Eigentume
sei ein treuer Spiegel nur
jener die in dir erschienen,
der lebendigen Natur

E. Hartwig, 6.12.1956
(v561206g.txt)

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FLIESST EINE QUELLE IN ENDLOSER FÜLLE

Fließt eine Quelle in endloser Fülle,
Springet ins Helle aus grundloser Stille.
Keine Seele wartet vergebens
an den Quellen und Flüssen des Lebens.

Dürstende köstliche Labe sich schlürfen.
Alle die Wesen der Nahrung bedürfen.
Alle die Leiber, alle die Triebe
inniger Seelen suchen nach Liebe.

Dort wird gesucht und dort wird gegeben,
Mangel und Fülle, beides ist Leben.
Und ist nur ein Ende: ein Ende der Not...
Wie leuchtet die Flamme des Lebens so rot!

E. H. 15.12.56

Der Sinn der Welt

Du bist nur Mensch, doch bist du auch ein Wissen
von den geheimen Wundern dieser Welt.
Du wirst erleiden und genießen müssen
was dich erfreut, was wiederum dich quält.

Es muß das Wissen ausgekostet werden,
denn das Bewußtsein ist der Sinn der Welt.
Erfahre jeden Zustand denn auf Erden,
der einen Hauch des Seienden enthält.

E. Hartwig 1957

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Die das Leben tragen

Das sind die Sorgen und das sind die Freuden,
die beide uns das Leben tragen helfen.
Zufriedenheit mir allem läßt uns hoffen
und das Bedürfnis reißt uns mächtig fort.

Die Not läßt uns das Nötige erkennen
und Freude zeigt uns die Erfüllung an.
Denn aus Beschränktheit wurden wir geboren
und die Beschränktheit spricht aus allem was wir tun.

Wir sind beschränkt und bleiben's und wir wollen
nur Meister unserer Beschränkung sein.

E. Hartwig, 1957


WAS NIEMAND WISSEN KANN WIRD DOCH ERLEBT.

Was niemand wissen kann wird doch erlebt.
Die Erde scheint so fest und doch, sie schwebt.
Die Wirklichkeit spinnt ihre Wunder aus,
Unser Empfinden ist ihr Zauberhaus.

Ach stimm' die Harfe deines Herzens gut
genährt vom weißen und vom roten Blut.
Wenn dich berührt des Geistes Zauberstab,
hängt alles von der rechten Stimmung ab.

E.H., 6.1.57

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ICH MESSE MICH NICHT AN ANDEREM

Ich messe mich nicht an anderem,
Ich messe mich an der Natur,
wie sie ein einzig Eines ist,
so bin ich einzig nur.

Sie ist das Ganze, ich der Teil,
sie ist mein wahres Wesen.
In diesem Bilde ganz und heil
bin ich von mir genesen.

27.1.57 -EH-

ICH BIN ZU MEINEM TEIL NATUR

Ich bin zu meinem Teil Natur
und alle ihre Formen,
sie sind nur ihres Geistes Spur,
sind ihres Geistes Normen.

"Ich will, ich muß, ich darf, ich soll,"
das sind ja alles Phrasen.
Wir sind Natur, sind von ihr voll,
sind ihres Lebens Phasen.

Drum laßt uns sein was einzig ist:
Natur an allen Enden.
Natur ist alles und du bist
geformt von ihren Händen.

27.1.57 -EH-

[Diese letzten beiden Gedichte wurden zusammengefasst unter dem Titel "Mitglied" unter der Einordnung (560001)]

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VON NATUR AUS


Ich bin nicht schuld, daß ich ich selber bin,
ich bin ich selbst in einem Auftrag nur!
Drum handle ich so wie ich handle,
nicht von mir aus, sondern von Natur.

Hartwig 30+31.1.57

Für den Kern des Lebens lasset uns danken

Für den Kern des Lebens lasset uns danken,
doch auch für Form und Hülle und Schranken.
----------
An Uferlosigkeit ist nicht zu denken,
auch in der Liebe muß man sich beschränken.

E.H. 1957

Zum Träumen geboren

Zum Träumen geboren, zum Träumen bestellt
und andere wieder die machen die Welt.
Die einen wollen sie machen,
die andern träumen und lachen.

Wir sehen die gemachte Welt,
die Erde mit dem Himmelszelt,
die Menschen alle, groß und klein
und alles ist so wunderfein

Und tüchtig ist da jedermann;
man sieht's von ferne jedem an.
Und du, du träumst mein lieber,
träumst hin und träumst auch wieder.

Und alles was du hast geträumt,
in deinen Augen wiederscheint.
In ihren süßen Träumen,
da gibt's der Herr den Seinen.

H 3/6.57 (Emil Hartwig, 03. 06. 1957)

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Der Querschnitt

Alle Dinge ganz zu haben,
lasse dich zuerst begraben.

Willst du leben und auch wissen,
wirst du dich bescheiden müssen.

Brauchst dich dennoch nicht verfluchen,
kannst es mit dir selbst versuchen.

Fasse des Bewußtseins Flammen
wie im Querschnitt dir zusammen.

Kannst nicht all und eines sein,
doch symbolisch dringst du ein.

E. Hartwig, 9.6.57

Universal

Auflösen und binden,
alles suchen und finden,
keinem Triebe wehren,
alle Stimmen hören.

Wissen um alles Große nicht nur,
folgen der kleinsten, der feinsten Spur.

Mit den Haien in ihrem Meer
jage ich hinter der Beute her,
teile kühn wie der Bussard die Luft,
schwebe, wie Gemsen, hoch an der Kluft.

Bin mit dem Forscher mitten darin
in der Natur, bin wie ihr Sinn.

Wenn ich Kraft und Schönheit empfinde,
überall wirkend, ganz ohne Sünde,
fasse ich fester die Hand der Natur,
Schlag ihres Herzens bin ich ja nur.

E. Hartwig, 11.6.57

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Das wühlt und wühlt solang es lebt

Das wühlt und wühlt solang es lebt,
in Furcht und Hoffnung es nur schwebt,
und hat doch gar kein echtes Sein,
kein Ich, kein Du, kein Mein und Dein.

Es ist Bewußtsein ganz und gar,
Gestaltung ist's mit Haut und Haar,
und regt sich auf und tut als ob.
Doch mir sagt mein Bewußtsein: stopp!

Nimm alles Dasein wie es ist
und suche keine Galgenfrist.
Du bist es nicht der dieses schreibt, -
das Eine war und ist und bleibt.-

E. Hartwig 29.06.57

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Wie man richtig handeln sollte

Wie man richtig handeln sollte,
das erfährt man mit den Jahren.
Was man vorher falsch gemacht,
kann man hinterher erfahren.

Nützen kann uns diese Weisheit
sicher nichts mehr, doch wir wissen
dann, daß wir partout nicht immer
alles richtig machen müssen.


E. Hartwig, Aug. 1957
(v570800g.txt)

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Eigener Sinn

Soll ich die Andern mit der Wahrheit plagen?
Was einer vorgekaut, ißt niemand gern.
Ich will die Wahrheit nur mir selber sagen,
will selber folgen meinem eignen Stern.

Er hat mich durch Verwirrung viel geleitet,
durch dunkle Tage, trüben Nebeldunst.
Wer nur dem eignen Stern entgegenschreitet,
versäumt sich selber nicht und seine Kunst.

E. Hartwig, 3.8.57

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ALLE

                  ALLE

                  Alle Teufel,
                  alle Götter,
                  alle Prediger,
                  alle Spötter;-

                  alle Frauen,
                  alle Männer,
                  alle Laien,
                  alle Kenner;-

alle, die noch fernerliefen,
alle Höhen, alle Tiefen,
alle Breiten, alle Längen,
alle, die ins Dasein drängen;

alle Bösen, alle Frommen,
alle, die in Zukunft kommen,
alle, die sind je gewesen,
sollen wissen, sollen lesen:

Niemand ist von allen diesen
mehr als eines Flohes Niesen.
Doch sie alle, allgemeine,
sind das Einzige, das Eine.

E. Hartwig, 1957
Berlin-Steglitz, 21. August 1957

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Im Zeichen Max Stirners

Lassen wir den ganzen Krempel !
Schmeißt die Sorgen weg !
Meine Sorge ist der neue,
nicht der alte Dreck.

Laß den Zirkus sich nur drehn,
tanzen Clown und Puppe.
Was die andern Leute tun,
sei dir völlig schnuppe.

Alles weg was dich noch hält
in dem alten Gleise.
Eignes Herze, eigne Welt,
dahin geht die Reise.

E. Hartwig, 11.9.57 (v570911g.txt)

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Apparat und Bewußtsein

Ein Apparat besteht allein,
er soll ein menschlich Wesen sein.
Ach sähe alle Dinge man
doch mit denselben Augen an.

Und blinzelte sich selber nicht
besonders freundlich ins Gesicht.
Dann sähe man sich akkurat
so an wie jeden Apparat.

Bewußtsein fabriziert der Mann
mit seinem Apparat sodann.
Lebendig ist zu jeder Frist
das Eine, welches Alles ist.

E. Hartwig, Okt. 1957

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Bei der Ewigkeit zu Gast

Eingespannt ist alles Leben
in ein unbegrenztes Streben.
Wenig gilt da eigentlich
noch ein Du und noch ein Ich.

"Bei der Ewigkeit zu Gast",
dieses wär der Titel fast,
den wir selbst uns geben können,
wenn wir durch das Leben rennen.
Klappen gehen auf und zu,
Ohne Rast und ohne Ruh
rennen alle Lebewesen.

Rennen los, - sind schon gewesen,
lernen schreiben kaum und lesen,
lernen sich die Fühler putzen,
lernen ihre Zeit zu nutzen,
doch da sind sie schon zu weit,
wieder in der Ewigkeit.

Trillionen sind schon tot
und doch hat es keine Not,
weitere Trillionen kommen,
woher hat man sie genommen?

Nun, es sind die selgen Toten,
die man wieder aufgeboten.
Neu gezeugt und eingeweidet,
neu benannt und eingekleidet,
machen sie sich sehr charmant,
eifrig kommen sie gerannt.

Sterne, Pflanzen, Menschen, Tiere,
kommen wie die Perlenschnüre,
immer frisch und jung hervor,
der Ewigkeit so hinterm Ohr.

Dieses Weltspiel zu verstehen
heißt auf einmal alles sehen.
Wenn des Geistes Zauberhand
alles einmal hält umspannt,
öffnet sich der tief're Sinn:
alles Ist und Ich, Ich Bin.

E. Hartwig, 10.10.57
(v571010g.txt)

Lob der Dummheit

Groß ist die Dummheit,
die Dummheit ist groß.
Gier und Haß sind auch famos,
doch die Dummheit, die Dummheit
ist wirklich groß.

Die Dummheit ist Halt der menschlichen Welt,
entferne die Dummheit und alles zerfällt.
Die Sitten zerfallen, die lieben Gebräuche,
es platzen die stolzen, die mächtigen Reiche.

Es schwinden dahin die historischen Zeiten.
Man wird weder fliegen, noch schiffen noch reiten.
Entferne die Dummheit und merke zuletzt:
Die Dummheit wird über alles geschätzt.

E. Hartwig Nov. 1957

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Ein Menschenkind

Ein Menschenkind,
ein Spiel im Wind,
doch ist's die Form,
durch die das Leben rinnt.

Und ist auch selber ohne Ruh',
ist Du und Ich und ich und Du;
ist rastlos wie das Leben selbst,
doch lebt es immerzu.

E. H. Nov. 1957

Phänomenologie des Geistes

I

Der Schein, was ist er, dem das Wesen fehlt?
Das Wesen, wär es, wenn es nicht erschiene? *)

Betörung ist der Wunsch, daß etwas dauert,
nur Toren kennen darum auch das Glück.
Doch da die Dinge alle schnell vergehen,
so kehrt das Glück mit der Geburt zurück.

Betörung - tausendfältig sind die Formen
in denen alles Leben ihr erliegt.
So mancher Weise lag mit ihr im Kampfe,
doch starb er, ehe er sie noch besiegt.

Betörung, süßer Reiz der Ewigkeit,
gebannt an eine Perle, eine Rose.
Das Glück besteht in seiner Flüchtigkeit,
im Wechsel aller Form: Metamorphose.

II

Da fragt man sich: Was soll mir dieser Körper,
der diesem Geist ja gar nicht dienen kann ?
Der Geist erlahmt, man fühlt,
der Rest ist Schweigen.

Doch träumte mir, daß alle Körper Pfeiler
und Träger nur des ewgen Geistes sind,
auf die er seinen Fuß nur eben setzt,
um fortzugehn auf seiner lichten Bahn.

Er braucht sie länger nicht, als sie ihm dienen.
Die Formen strahlen einmal voller Geist
und fallen fort und neue Formen bildet
der Geisteswille sich zum Fußpunkt aus.

Drum keine Trauer, daß die Schönheit sterbe !
Daß je ein Geisteshauch verloren geht !
Die Ewigkeit reißt sich die Zeit vom Leibe
wie Schlangen Häute - aber sie besteht.

E. Hartwig, 16/17.11.57
*) Goethe

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Ein Geist

Ein Geist - und soll mit diesem Köper sich beschränken!
Es ist doch wirklich sonderbar,
wie diese beiden da zusammenkommen:
Du Geist, der alles weiß und alle Dinge kennt,
der keine Schranken kennt an Zeiten, Räumen, Formen -
und du, du unbeholf'ner Körper da,
der nur verdauen kann und seine Sinne regen.

Wie ist's nur möglich,
diesen schrankenlosen
und ewig jugendlichen Stürmer Geist
an ein Vehikel Körper anzubinden,
das schon nach kurzer Zeit
in Stücke fällt?

So fragt wohl jeder, der nach kurzem Wandern
auf dieser Welt die Diskrepanz erkennt,
die zwischen seinem Wollen, seinem Sehnen,
und dem, was ihm der Körper leisten kann, besteht.

Hier ist nun allerdings der Traum zu Ende,
kein Nostradamus, kein Mephisto bringt
dem Körper bei die Flugkraft je des Geistes,
der Apparat der Sinne bricht entzwei

Hartwig, 16./17.11.57 (Totensonntag)
(v571117g.txt)

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Das ist der Alten
    ist der Neuen Brauch:

Das ist der Alten
ist der Neuen Brauch:
was ich vorzüglich kann,
das tu ich auch.

Weil jeder selber kann,
Weil jeder selber weiß,
was Nostradamus tat
mit seinem Zauber Kreis.

-----

Liebe und Haß müssen wir versachlichen als plus und minus.

-----

So gegensätzlich ist alles gemischt,
daß selbst die Liebe beißt und zischt.

-----
E. Hartwig, Dez. 57 (v571200g.txt)

"Was ich nur pro Forma bin ..."

Was ich nur pro Forma bin,
nimmt man als gegeben hin.

Bewußtseinsträger der Natur
bin ich, sind alle Wesen nur.

E. Hartwig, 1958

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Der Vater aller Dinge

Ihr friedensvollen Kämpfer bleibt dabei,
singt hin und wieder eure Litanei,
im Übrigen singt fromm und brav
den Frieden wieder in den Schlaf.

Denn insgeheim seid ihr aufs Kämpfen aus.
Ihr sucht den Kampf euch überall heraus.
In Politik, im Funk, in Film und Presse
haut ihr stets gerne jemand in die Fresse.

Ihr Friedensfreunde aller Fakultäten,
die ihr versteht so friedensvoll zu beten,
Ihr seid bestrebt in allen Staatssystemen
zum Krieg in jeder Form euch zu bequemen.

Denn für dies Leben ist der Mensch nicht schlau genug.
Niemals merkt er eben diesen Lug und Trug.
Wie Hitler sagte: Schlagen! schlagen! schlagen!
So höre ich auch euch vom Frieden sagen!

Ihr wisst, von Macht ist Mensch doch nicht zu trennen,
so werdet ihr den Frieden weiter nennen
als das was euch der höchste Leitstern sei.
Inzwischen kämpft ihr weiter frank und frei.

E. Hartwig,
(v580100g.txt)

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In - Dividuum

"Was einer ist, was einer hat"
das alles ist für Laffen.
Das hat, wie ihr, so Hinz und Kunz,
ihr teilt's mit jedem Affen.

Wir fangen alle simpel an,
sind alle aus dem Ei.
Es ist, wer was aus sich gemacht,
zuletzt der Witz dabei.

Was einer ist, was einer hat,
ihr könnt es euch behalten.
Was keiner ist, was keiner hat,
ich werde es gestalten.

E. Hartwig, 24.1.58 (v580122g.txt)

Der Staat bin ich

Landsknecht, Grenadier
oder Frontsoldat,
sterben müssen wir
für den heiligen Staat.

Lasst den Staat doch sterben,
seid doch nicht so dumm,
lebt auf seine Kosten,
dreht den Spieß mal um.

E. Hartwig, 25.1.58
(v580123g.txt)

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L'état c'est moi.

Landsknecht, Grenadier
oder Frontsoldat,
sterben müssen wir
für den heiligen Staat.

Lasst den Staat doch sterben,
seid doch nicht so dumm,
lebt auf seine Kosten,
dreht den Spieß mal um.

Die Kraft des großen Haufens
die hat der Haufen nicht.
Nur Menschen haben Kraft,
sie haben auch Gewicht.

Behaltet eure Kräfte,
denn hat sie erste der Staat,
dann seid ihr eine Schraube
in einem Apparat.

„Republik des Volkes“
schimpft sich jetzt der Staat,
der Millionen Menschen
schon gefressen hat.

Geht nicht in die Falle!
War der Kaiser schlecht,
ist's der anonyme
Volkstribun erst recht.

Herrscher seid ihr selber,
habt euch in der Hand,
wenn die Menschen leben,
lebt auch Stadt und Land.

nicht mitschreiben:
(Den Parteienwerbern
Tretet in den Arsch,
blaset den Parteien
und dem Staat den Marsch.)

Hartwig / Kritische Gänge, 25.1.58
(v580123g.txt) + (v580125g.txt)

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Status quo

Das geht so leise,
das geht so gelind,
himmlische Reise,
irdisches Kind.

Ob sie uns gut,
ob schlecht gefällt,
ist nicht lauter
Wunder die Welt?

Lasst nur alles
wie es ist,
wäre es nicht,
wäre kein Mist.

Du bist kein Schöpfer,
kein Richter dazu.
Du bist nur Füllsel,
du Simpel, du.

E. Hartwig, 25.1.58
(v580124g.txt)

Die Kraft des großen Haufens

Die Kraft des großen Haufens
die hat der Haufen nicht.
Nur Menschen haben Kraft,
sie haben auch Gewicht.

Behaltet eure Kräfte,
denn hat sie erste der Staat,
dann seid ihr eine Schraube
in einem Apparat.

„Republik des Volkes“
schimpft sich jetzt der Staat,
der Millionen Menschen
schon gefressen hat.

Geht nicht in die Falle!
War der Kaiser schlecht,
ist's der anonyme
Volkstribun erst recht.

Herrscher seid ihr selber,
habt euch in der Hand,
wenn die Menschen leben,
lebt auch Stadt und Land.

Den Parteienwerbern
Tretet in den Arsch,
blaset den Parteien
und dem Staat den Marsch.

E. Hartwig, 25.1.58
(v580125g.txt)

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Es muss

Es muss passieren,
drum brauchen wir Zeit.
Es dann zu verlieren
irgendwo - weit
brauchen wir Zeit

Alles was sein muss,
alles muss sein.
Raus aus dem Sacke
und wieder rein

Und nicht so
Wie die Menschen die dummen
summen und brummen.

Rin in die Scheiße
und wieder raus,
darauf kommt alles,
alles heraus.

E. Hartwig, 25.1.58 (v580126g.txt)

Den Teufel

Habt ihr den Teufel?
Haltet ihn fest!
Wehe wer wieder
fahren ihn lässt

Habt ihr den Teufel,
lauschet ihm ab
alle die Tricks,
die der Alte ihm gab.

Hat nicht der Alte
den Teufel geschaffen?
Dich und mich
und die anderen Affen?

Habt ihr den Teufel?
Habt ihn am Schwanz?
Jetzt keine Zweifel!
Fasset ihn ganz!

E. Hartwig, 25.1.58
(v580127g.txt)

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Bei sich sein

Wenn er versucht ein Ganzes zu machen,
ist halt- und hilflos der Mensch.
Das Ganze ist da,
Einselnes kanner nur tun.

Dem Ganzen nahekommen, -
ein furchtbarer Drang.
Alles, alles ist da,
sei nur dir selber nah.

E. Hartwig, 16.2.58

Erde einst - jetzt Haut und Haar

Von Erde und zu Erde werden
ist der Lebenslauf auf Erden.
Doch, wenn du es genau besiehst,
bist du Feuer und du glühst.

Denn wer weiß, wie es geschah?
Erde, Wasser war nicht da.
Keine Luft und nur ein Feuer
war auf Erden ungeheuer.

"Aber" sprach da Zeus "ich lache,
warte mal, was ich draus mache."
Na, man sieht's, er machte Erde
und er sprach das Wort "es werde".

Licht und Finsternis dazu
fort ist jetzt die ew'ge Ruh.
Alles dreht sich nun und kreist,
jeder schreit wie er grad heißt.

Ja, es ist schon wunderbar,
Erde einst, jetzt Haut und Haar.
Doch das alles holt die Zeit
aus dem Sack der Ewigkeit.

Da ist noch so manches drin.
Kommt dir etwas in den Sinn?
Zeit bringt fort und trägt heran
alles was man denken kann.

Da fliegen die Wolken am Himmel daher,
alle voll Wasser zentnerschwer.
Wasser in Masse am Himmel treibt,
wer hält es fest, dass es oben bleibt?

E. Hartwig, 16.2.58
(v580217g.txt)

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So oder so

Gut oder böse
sind wir nicht, nein,
plus oder minus
wollen wir sein.

So oder so
ist doch die Welt,
weil sie uns so,
oder so gefällt.

Gut oder böse,
schön oder schlecht,
plus oder minus,
alles ist recht.

Alles ist ja
ein einziges Reich.
So oder so
bleibt es sich gleich.

E. Hartwig, Berlin-Steglitz,
den 6. 3. 1958
(v580301g.txt)

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"Wat mött, dat mött"

(auch unter dem Titel: „Keiner hat Schuld”)

Wer kann dafür,
daß wir so sind?
Er nicht und ich nicht
und du nicht, mein Kind.

Aber es hilft nichts,
wir müssen so sein,
hab' dich nicht so,
sage nicht nein.

Denn, wie du bist,
das änderst du nicht.
Du behältst ja
dein wahres Gesicht.

Eines aber
will ich dir sagen:
Warum? Wozu?
darfst du nicht fragen.

Denn wir sind nichts
mein törichtes Kind,
es sei denn eins:
Das was wir sind.

E. Hartwig, Berlin-Steglitz,
den 6. 3. 1958
(v580302g.txt)

Ich - Quark

Was ich nur pro Forma bin,
nimmt man als gegeben hin.

Ich weiß, dass mir nichts angehört
als der Gedanke, der ungestört
aus meinem Innern will fließen.

Bewusstseinsträger der Natur
bin ich, sind alle Wesen nur.
Getretene Persönlichkeit,
sie wird nicht stark, sie wird nur breit.

E. Hartwig, Berlin-Steglitz,
den 6. 3. 1958
(v580303g.txt)

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Nichts von alledem

Gehen wir schlafen!
Machen wir Schluss!
Wachen und machen
ist ja kein Muss

Andere Menschen
reden dir ein,
wachen und machen
das müsse sein.

Dieses und jenes
wäre so schön,
rennen sie hin,
werden ja sehn.

Aber was siehst du
überall nur?
Elender Viecher
vertrocknete Spur.

Jene sind nur
was sie nicht sind,
glaube lieber
dem sausenden Wind.

Glaube lieber
dem Herz in der Brust,
das dir alles
sagt, was du musst.

Gehe zur Ruhe,
gehe zurück,
nichts von allem -
das ist das Glück.

E. Hartwig, Berlin-Steglitz,
den 6. 3. 1958
(v580304g.txt)

Nitschewo

Gut oder böse
sind wir nicht, nein,
"plus" und "minus"
wollen wir sein.

So oder so
ist doch die Welt,
weil sie uns so
oder so gefällt.

"gut" oder "böse"
"schön" oder "schlecht"
"plus" oder "minus"
alles ist recht

Alles ist ja
ein einziges Reich,
so oder so
bleibt es sich gleich.

E. Hartwig, Berlin-Steglitz,
den 6. 3. 1958
(v580305g.txt)

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Ick sülwst

Wer hier was will
und sich an Menschen wendet,
erreicht nur,
dass sein Wollen endet.

Jedes Menschen Sache
ist nur klein.
Machen soll er
sie allein.

E. Hartwig, Berlin-Steglitz,
den 6. 3. 1958
(v580306g.txt)

Alle spielen

Keiner weiß
Was er will.
Alles ist Schein,
alles ist Spiel.

Es ist schon
dafür gesorgt,
dass jeder will
oder gehorcht.

E. Hartwig, Berlin-Steglitz,
den 6. 3. 1958
(v580307g.txt)

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Der Einzige

Wie schwer scheint es
Napoleon zu sein.
Doch jeder kann sich
dessen freun,

der seine eigne Art
so rein vollbringt,
wie von Napoleon
die Fame singt.

Es ist ein anderes
den Weg zu sehen,
es ist ein anderes
den Weg zu gehen.

Napoleon, das ist
ein Element,
das keine halben
Sachen kennt.

E. Hartwig, Berlin-Steglitz,
den 6. 3. 1958
(v580308g.txt)

Motto

Dieses: Wer bin ich!
und: Wer bist du!
schließt die Welt
von innen zu.

Wisse, daß nur einer ist,
wisse, daß du keiner bist
und ihr seid per du.

E. Hartwig, Berlin-Steglitz,
den 6. 3. 1958
(v580309g.txt)

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Keiner weiß,

Keiner weiß, was er will,
alles ist Schein, alles ist Spiel.

Es ist schon immer dafür gesorgt,
daß jeder will oder gehorcht.

*****

Der Inhalt wandelt sich,
von Form zu Form
läßt viele Hüllen er
am Weg zurück.

Wir leben alle
im Vorübergehn,
Mit einem Ankunfts-
einem Scheideblick.

E. Hartwig, 6.3.58

Dieses: Wer bin ich/wer ...

Dieses: Wer bin ich
und wer bist du,
schließt die Welt
von innen zu.

-----

Wisse, daß nur einer ist.
Wisse, daß du keiner bist,
und ihr seid per Du.

Emil Hartwig
Berlin, d. 7.3.58

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Abschied

Gehen wir schlafen,
machen wir Schluß.
Wachen und machen
ist ja kein Muß.

Ist denn der tägliche
Spielkram so schön?
Mußt du das alles
immerzu sehn?

Gehe zur Ruhe,
gehe zurück,
"nichts von dem allen"
das ist das Glück.

E. Hartwig, 7.3.58

Vom Ganzen gehn die Dinge aus,

Vom Ganzen gehn die Dinge aus,
zum Ganzen streben sie allein.
Doch was im Ganzen einzig lebt,
das sollte selber Ganzes sein ?

Im Geist des Ganzen lebt die Welt,
der Geist macht ganz, der Geist macht heil,
und nur der Geist des Ganzen hält
in Form und Inhalt jedes Teil.

- - - - -

Das Licht ist hell, zehntausend Grad,
so strahlt es in den Raum hinaus,
gedämpft von seinem Gegensatz
vergoldet's Wolken, Baum und Haus.

Symbol ist alles in der Welt,
Symbol des Einen, das da ist.
Das Licht stellt jenes Eine dar,
in dem Du selber Einer bist.

E. Hartwig, 17.5.58

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Grabschrift

Feuer, Wasser, Erde, Luft,-
Wie ein jedes still mich ruft!
Über eine kurze Zeit
bin ich, was ihr immer seid.
Überall seid ihr zumal,
all und ein: universal.
Euer Wirken zeiget an,
dass das Eine alles kann.

Hartwig, 26. 6. 1958
(v580626g.txt)+(v_grab_1.txt)

Einsicht

Das ist es ja eben,
das einfache Leben
ist zu ertragen
nur von Blöden;

die wenig tun
und sehr viel ruhn.

Die, gleich den
allerfaulsten Tieren,
dasitzen können
und existieren.

Derweil du selber
so blöde bist
und vieles tust
was nicht nötig ist.-

E. H a r t w i g,
Berlin, 20.8.1958.

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A u f b l i c k

Von all den Herrlichkeiten
die Freude uns bereiten,
da will ich heute loben
den lichten Himmel oben.

Das Herz und Auge ganz
erfüllt der Strahlenglanz,
der von den goldnen Flächen
der Sonne fließt in Bächen.

All die Materien malen
aus Dunst und Sonnenstrahlen
die herrlichsten Gebilde
am himmlischen Gefilde.

Wie strahlt der Raum so lichtdurchbrannt
hoch über farbensattem Land!
Am Himmel steht zu lesen
des Daseins Zauberwesen.

E. Hartwig, 30.8.1958
(v580830g.txt)

Chacum à son goút

Man kann die Welt beim Schopfe packen,
man kann auch auf dieselbe kacken.
Bewußtsein ist, wenn ich nicht irre,
der einzige Weg aus jeder Wirre.

Es leuchtet jedem jeder Stern,
den jeder leuchten sähe gern.
Es gibt auch gänzlich dunkle Sterne,
doch grade die sieht mancher gerne.

So will ich denn am besten schließen:
soll jeder, was er kann, genießen.

E. Hartwig, Okt. 1958

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Wirklichkeiten im Ausgleich

Versinken - sich formen.
ertönen - verhallen
erleuchten - verlöschen
hat alles wohl seine Kontur,
bleiben kann aber keine Spur.

Halt! - Eins ist immer da
und geschieht wie es geschah.

Ist, ist und ist,
sein selbst nie vermißt.

In sich und auf sich gestellt,
immerdar ruht die Welt.

E. Hartwig, 18.1.59

Natur und Welt

Du selbst Natur, du selbst allein
sollst meine Gloriole sein.
Von allem Unkraut, Mensch und Tier,
erhole ich mich stets bei dir.

Doch laß ich jedem Ding sein Recht
Natur zu sein 'gut' oder 'schlecht'.
Denn was mir irgend nicht gefällt,
ist von Natur so hingestellt.
Und ist mir etwas noch so dumm,
Natur ist alles, um und um.

Die Menschen haben mich vertrieben,
doch als Natur muß ich sie lieben.
Sie folgen alle deinem Trieb.
Ich hasse sie und hab sie lieb.

E. Hartwig, Febr. 1959

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Den Toten

Wie ihm die Form so gut gedient,
das kann der Geist ermessen.
Von seinen toten Formen will
er keine Form vergessen.

Das Leben lebt in jeder Form
kann anders gar nicht leben,
muß sich aus jeder alten Form
gleich in die neue heben.

Doch schaut es lange noch zurück
nach der verfall'nen Hülle,
wo sich die tote Form verliert
in Ewigkeit und Stille.

E. Hartwig, 28.10.59


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