Dichtungen von Emil Hartwig aus den Jahren 1950 - 1955
(Stand 29.04.2018 - 52 -)

Alleins  /   „Amor fati“ s. Liebe dein Schicksal  /   An die Natur  /   AUFBLICK  /   AUFKLÄRUNG  /   Das Ganze  /   Das Geistige  /   Das große Spiel  /   Dem Goetheleser  /   Der Götterfreund  /   Deutsche Soldaten  /   Die Forderung des Tages  /   Eigentum I  /   Ermüdung ist so schön!  /   Fliegen  /   Fortschritt  /   Freiheit wozu ? Nietzsche  /   Freude schöner Götterfunken (Unterwegs)  /   Hereinspaziert....  /   Im Land der Seele  /   Immer wenn sie leben ...  /   Im Tanz der Stunden  /   Im Vorübergehen  /   In eigener Mitte  /   J. W. Goethe / St. George  /   Komödie der Sitten  /   Körper - Geist  /   Kraft und Stoff  /   KWATSU  /   Lebenslied  /   Liebe dein Schicksal  /   Man ist nur einer  /   MEIN DEIN SEIN  /   Mitläufer  /   Mit verteilten Rollen  /   Musik der Welt  /   Mutti zum Geburtstag  /   Natur will ewig sich zerteilen  /   Namenlos  /   Nimmersatt und Unendliches  /   NIX  /   "Rosenhochzeit"  /   Schrankenlos  /   Sie spielen sich ab  /   Teufelskreis  /   Unterwegs (Freude schöner Götterfunken)  /   "Vogue"  /   Verlaine und Juana de Asbaja  /   Vidimus quantum satis est  /   VOR SONNENAUFGANG  /   Weltgetümmel  /   Weltkreis  /   Wie sich die Wolken droben  /  

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Mutti zum Geburtstag

So leben wir, so leben wir,
So leben wir alle Tage.
Zwar ohne Geld, ganz ohne Geld,
doch darum ohne Plage.

Wir nehmen Sonne wie sie kommt
aus allererster Quelle,
und manches Lüftchen, das uns frommt
wie eine kühle Welle.

Es zwitschern Vögel rings umher
und liebe Menschen zanken.
Wir schwimmen in dem Sommermeer
und wissen es zu danken.

Es wachsen Früchte uns heran
an Kraut und Busch und Baum
und wenn man's nicht bezahlen kann,
ist's doch ein schöner Traum.

So leben wir, so leben wir,
So leben wir alle Tage!
Hast du kein Geld, hab ich kein Geld,
so ist's uns keine Plage.

Und da DU heut' Geburtstag hast,
da ist es um so schöner,
da nimmst du auf den Schoss die Last
von zwei und einem Söhner.

Wir küssen dich, wir herzen dich,
dass sind dir liebe Gaben.
Und tausend Taler schenken wir,
wenn wir mal welche haben.

Wir wünschen, dass wir mit dir alt
und grau in Treue werden,
und dass wir einst im Himmel sind
mit dir wie hier auf Erden.

(v500719g.txt)
(Emil Hartwig an Ruth Hartwig zum 38. Geburtstag
4 Jahre nach Rückkkehr aus Gefangenschaft und
noch arbeitslos im Wechsel mit Gelegenheitsarbeiten.)

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Im Land der Seele

Vier Dimensionen? - Ach, das Land der Seele
hat Dimensionen von der größten Zahl. -
Logik? Wahnsinn? Schönheit? Realismus? -
Ach, das Land der Seele birgt sie tausendfach.-

Vera Cruz, silberglänzendes Flibustiernest,
ach, wo gibt es dich? - Im Land der Seele!
Dort sind alle Räume, Zeiten, Welten,
alle Formen, Töne, Düfte, Farben .....

Und wie echt bist du! Was du den Sinnen
glühend aufgeprägt, wie leuchtet's noch!
Grenzenlos, doch klar und fest gebildet,
ist das Land der Seele - Geist und Leib der Welt

E. Hartwig, Bln. Lankwitz. Nov. 1950
(v501101g.txt)


Hereinspaziert....

Fließest, milder Strom des Lichts
hell ins Auge jeden Wichts.

Töne fließen glockenrein
in des Ohres runden Schrein.

Alles trifft im Schädel sich....
Trifft es sich, so ist es Ich.

Für Bewußtseins flücht'gen Schatz
ist der Kopf ein Stapelplatz

E. Hartwig 1951 (v510001g.txt)

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Verlaine und Juana de Asbaja

(Mexiko 1695) beispielsweise

Menschen lebten in Liebesglut,
starben im Jammer der Seele.
Ihrer schäumenden Liebesflut
tief mein Herz ich vermähle.

Ist doch nur, wer selbst sich läßt,
selbst sich wirft zu Scherben,
wahrhaft Gast bei Gottes Fest
im Leben und im Sterben.

E. Hartwig, März 51 (v510002g.txt)


J. W. Goethe / St. George

Es ist chaotisch Dies und Jenes,
wir selbst sind Chaos auch in manchem Stück;
doch bildet Chaos für den klassisch Schönen
und mit sich Einigen das ganze Glück.

Auf diesem Piedestal des Unvollkommenen,
des mit sich Streitenden, da stehe ich.
Harmonisch einig, Chaos -- Überwinder,
Selbstherrscher, Androgyn, so nenn' ich mich.

E. Hartwig, 1951 (v510003g.txt)

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Ermüdung ist so schön!

Ermüdung ist so schön! Allein,
wie schön mag dann der Tod erst sein ?
Was Spannung war ist alles fort,
nicht drückt mehr Zeit und Zweck und Ort.

Es mag so sein wie 'los' und 'frei'
und ein unendliches Dabei.
Nichts mehr von 'mir' und 'mich' und 'mein'.
Das ICH ist ALLES - GANZ - ALL-EIN.

E. Hartwig, Bln.-Steglitz, 1951 (v510011g.txt)

Weltgetümmel

"Welt, was machst du für Gelärme!"

"Ruhe, Frieden hätt'st du gerne? -
Mußt nicht unter Menschen gehn,
Mußt als Baum im Walde stehn!
Bleib' als Gräslein auf der Au,
iß' von Erde, trink von Tau!
Menschenart ist Ungemach,
ist voll Freud', voll Weh und Ach."

E. Hartwig, 10.03.1951 (v510308g.txt)

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Weltkreis

Stets in Klarheit ausgeformt,
doch in keinem Fall genormt,
wie es höchstem Trieb gefällt,
treiben Wolken um die Welt.
So folgt alle Art Natur
"Gottes" Trieben auf der Spur.
Laß du auch dein Klagen sein,
tritt in ihren Kreis mit ein.

E. Hartwig, 10.03.1951 (v510309g.txt)


Namenlos

Weit da draußen
hörst du's brausen.
Eng da drinnen
spürst du's rinnen.
Liegt ein Glanz der reinsten Schöne
oben auf dem Strom der Ströme.

E. Hartwig, 10.03.1951 (v510310g.txt)

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Nimmersatt und Unendliches

"Welt, unendliche,
unverständliche,
wie so lieb und gut bist du,
nimmst und gibst - davon, dazu.
Füllst mich in Rhythmen, in Dunkel und Licht
- aber ein Ende hast du nicht.
Satt-Essen, Satt-Wissen - schönes Gefühl,
Hunger ist und bleibt ihr Ziel.
Du gibst dein Wissen so viel einer mag
- vergißt er doch alles am anderen Tag."

"Endlos bin ich und euer Begehren,
habe kein Ende und kann kein's gewähren."

E. Hartwig 51/3(11) (v510311g.txt)


"Vogue"

Große Welt
auf sich hält
Stoffe aller Muster,
knallgelb, tintenduster.

Seiden, Sammet und Charmeuse
für die Liebe, für die Böse,
für die Gute, die ja allen
will und soll und muß gefallen.

Sinn der Welt, du bist erfüllt
wenn der Stoff das Weib enthüllt.

E. Hartwig, 51/3(12) (v510312g.txt)

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"Rosenhochzeit"

Wir sind einmal verheiratet
und wollen's ruhig bleiben,
denn besser kannst Du Dir, mein Kind,
doch nicht die Zeit vertreiben.

Wer sorgt für Dich, wer gibt Dir dann,
wenn Du sie brauchst, die Küsse?
Wer gibt mir auf, wenn Du's nicht tust,
die vielen harten Nüsse?

So bleibt's dabei: Du bist so schön,
wie Du nur immer glaubst.
Und schöner auch als wie die Ruh,
die Du mir allzeit raubst.

Und hätt' ich die Rat-Schläge nicht,
die Du so oft mir giebest,
wie wüßt' ich denn, wie wüßt' ich denn,
daß Du so sehr mich liebest.

Drum sag ich: Eia, bleib bei mir
in allen meinen Stunden
und streue (was so heilsam ist)
mir Salz in meine Wunden.

Wir heulen uns, wir freuen uns,
wie's alle Menschen lieben
und fragen uns an jedem Tag:
wo ist die Zeit geblieben!

Ich könnte Dich mit Zartgefühl
zum Schluß mein Herzblatt nennen.
Doch laß ich das, mein liebes Kind,
weil wir uns beide kennen.

E. Hartwig, 1951/3 (13) (v510313g.txt)

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AUFKLÄRUNG

Licht - in magischer Verwandlung
bist du Täter jeder Handlung...
alles..alles..alles tut -
dunkle Nacht, wie tust du gut! -

Licht, du Helle! Nacht, du Dunkel!
Farbensattes Blitzgefunkel!
Gottes ew'ge Augenweide,
Licht und Dunkel, seid ihr beide. -

Gott im Norden, Gott im Süden -
woll'n wir Paragraphen schmieden,
Gott darinnen festzulegen? -
Götze ohne Selbstbewegen?

Licht! Sei uns die Gottesleiter!
Dunkel, Farben, helfen weiter.-
Gott, von Gott ist aller Willen,
Licht und Dunkel will ihn stillen.-

Laßt uns Licht und Dunkel ehren,
keine Farbe uns verwehren.
Wo sich Klarheit rings verbreitet,
wird das Dunkel fortgeleitet,
daß es auch an jenem Ort
wirke dunkles Schöpfungswort:

Ob zum Lichten sich erheben,
ob zum Dunkel niederstreben -
beides ist doch eines:
       LEBEN


E.Hartwig 51/10
(v511001g.txt)

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An die Natur

Ein bißchen Luft, ein bißchen Gras,
ein bißchen von "ich weiß nicht was",
ein bißchen Licht, ein bißchen Lieb,
ein bißchen mit von allem gib
mir in die Hand hier in der Zeit
als Probe der Unendlichkeit.

Ich schmecke dich, ich rieche dich,
ich fühle, habe, sehe dich,
ich bin schon jetzt in dieser Zeit
mit dir in der Unendlichkeit.

Die du die Macht hast für und für,
bist immer dort und immer hier.
Das Wunder ist, das es geschah,
denn selbst das Nichts ist durch dich da.

E. Hartwig, Berlin, Febr. 1952 (v520201g.txt)


Wie sich die Wolken droben

Wie sich die Wolken droben ineinanderschieben
silberweißes Filigran auf blauem Grund.
Eine Weihe, schwarz, zieht ihre weiten Kreise
ohne Flügelschlag...

An den Rändern einer Haufenwolke
blitzt die Sonne jetzt ein Silberband...
Nun tritt sie hervor in ihres Glanzes Fülle
dem Unbeschreiblichen verwandt.

E. Hartwig, Bln.-Lankwitz 15.7.52 (v520715g.txt)

*****

Goethe: Die unerschöpfliche Natur, die nach so viel Arten noch eine
schuf, die sie alle in sich vereinigte, das ist mein Gott.

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Im Vorübergehen

Tiefdunkles Rot in prangendem Grün, -
helle Wolken in blauer Ferne ziehn.
so seh ich dich, Blume, im Garten dort stehn, -
so leuchtet die Welt - im Vorübergehn.

Du blauer Fächer im reifenden Feld,
wie märchenhaft blau bist du hingestellt.
Dich halten die Augen, solang sie sehn
dein blaues Bild - im Vorübergehn.

Und Sonnengelb und goldenbraun,
und veilchenblau sind sie zu schaun,
die Kinder des Lichts, - wie herrlich zu sehn
ihr buntes Blühn - im Vorübergehn.

E. Hartwig, Dez. 1952 (v521201g.txt)


Musik der Welt

Lausch' ich der Musik der Welt,
wie sie strahlend sich erhellt,
wie sie hüllt sich in die Nacht,
so erblick ich meine Macht.

Stiller Klang, das ist mein Leben,
Zeit und Raum, das ist mein Regen.
Licht ist meines Blutes Fluß,
Wachstum meiner Kraft Genuß.

Gehn die Töne klar und hell
aus dem all und einen Quell,
nimmt sie auf die lichte Nacht,
die so traulich ihrer wacht.

Stirbt der Töne Reigen hin -
Seligkeit ist mein Gewinn.

E. Hartwig, Dez. 1953 (v531200g.txt)


Alleins

Nicht Licht gebar das Dunkel,
Dunkel gebar nicht Licht.
Licht wie Dunkel widerscheint
das einzige Gesicht.

Nicht Leben gebar den Tod,
Tod gebar Leben nicht.
sind beide Augen-Blicke
im ewigen Gesicht.

Nicht Lieb hat Haß geboren,
Haß schuf die Liebe nicht.
Sind beide ja ein Leuchten
in meinem Angesicht.

E. Hartwig, Dez. 1953 (v531202g.txt)

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Mitläufer

Ich seh euch wieder tanzen
um Thron und um Altar.
Wie diese Tänze enden
ist euch wohl nicht mehr klar.

Doch seid ihr freilich Masse,
als solche seid ihr Brei,
da braucht ihr Form und Führer,
wer es auch immer sei.

Ihr sucht und findet einen
der imponieren kann.
Der wird euch kommandieren
und massakrieren dann.

E. Hartwig 1954 (v540001g.txt)


Das Geistige

Natur will ewig sich zerteilen,
der Geist, er kann nicht lange weilen.

Wie Orpheus mit Musik belebt,
der Geist zu neuen Ufern strebt.

Das Ziel legt er so weit hinaus,
daß niemals wird ein Ende draus.

Er geht und unter seiner Hand
entsteht des Lebens Zauberland.

Er geht und läßt dabei zurück
den Tod mit müdem Abschiedsblick.

Er hat kein Urteil, wertet nicht
den Tod, er legt vielmehr Gewicht

auf neues Leben überall,
das Leben ist sein Wiederhall.

E. Hartwig, 1954. (v540002g.txt)

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Natur will ewig sich zerteilen

Natur will ewig sich zerteilen.
Der Geist, er kann nicht lange weilen.
Geist und Leben überall.
Natur und Tod der Gegenfall.

Wie Orpheus mit Musik belebt,
der Geist zu neuen Ufern strebt.
Das Ziel legt er so weit hinaus,
daß niemals Wird ein Ende draus.

Er geht - und unter seiner Hand
entsteht des Lebens Zauberland.
Er geht und läßt dabei zurück
den Tod mit müdem Abschiedsblick.

Er hat kein Urteil, wertet nicht
den Tod. Er legt Gewicht
Auf neues Leben überall -
das Leben ist sein Widerhall.

Emil Hartwig,
(in einem Agfa-Prospekt von 1954)
(v540600g.txt)

Liebe dein Schicksal

Dein Los ist gefallen.
Das eine fiel dir von allen.
Was sinnst du, wie's anderen fiel?

Laß dir es nicht sehnend verrauchen,
du solltest dein Leben gebrauchen,
es ist sowohl Ernst als auch Spiel.

In deiner Brust verspüre alle Wonnen,
mit deinem Auge trinke alle Sonnen
und frage nicht nach fernem, fremden Glück.

Der Becher kommst an dich. -
Trink Bruder! Sicherlich,
so kehrt er nicht zurück!

E. Hartwig Dez. 1954 (v541201g.txt)

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spätere Version 18.12.1974 an Hüttisch:
Amor fati

Das Los ist gefallen.
Das eine fiel dir von allen.
Was sinnst du, wie's anderen fiel?

Laß dir es nicht sehnend verrauchen,
das Leben ist da zum gebrauchen,
es ist sowohl Ernst als auch Spiel.

In dieser Brust verspüre alle Wonnen,
mit diesem Auge trinke alle Sonnen
und frage nicht nach fernem, fremden Glück.

Der Becher kommst an dich. -
Trink Bruder! Sicherlich,
so kehrt er nicht zurück!

In eigener Mitte

"Taten !" - So rufst du, doch Taten
rinnen wie Schutt durch die Zeit.
Soll dir dein Leben geraten,
sei auch zum Nichttun bereit.

Ruhmeskränze verwehen,
Hoffen und Sehnen verfliegt.
Habe die Gabe zu sehen
was vor den Augen dir liegt.

Du bist dir selber gegeben;
so wie du bist, hier und jetzt;
Mittel zu eigenem Leben,
das dir kein and'res ersetzt.

E. Hartwig, Berlin, (2) Dez. 1954
(v541202g.txt)

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Im Tanz der Stunden

Schenkte E S uns nicht das Leben?
Schenkte es und sollt's nicht geben
immer wieder für und für?

Laß dir keine Hoffnung rauben!
Hoffnung! hoffen und auch glauben!
Hoffnung! Glaube! Dir und mir!

Ich, ich bin es! Diese Füße
wuchsen einst aus diesem Staub!
Tod wie Leben, beides Grüße,
Reichtum sind sie, sind kein Raub.

E. Hartwig, Berlin, (3) Dez. 1954
(v541203g.txt)

Freude schöner Götterfunken (Unterwegs)

Liebes Ich, du bist Gast,
man tischt dir auf,
man zeigt dir die ganze Welt.
und alles das ohne Ruh und Rast
und nicht wie es dir gefällt.

Sei höflich mein Lieber,
sei 'lieb' und sei 'gut'
und friß die versalzenen Speisen.
Drück in die Stirn nach der Mode den Hut
und mache die nötigen Reisen.

Und triffst da was Schönes,
was Liebes dabei
im sausenden Karussell,
denk: ich bin Gast, sag: ich bin so frei
und freue dich, freue dich schnell

E. Hartwig 1955 (v550001g.txt)

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D e u t s c h e   S o l d a t e n

Kampf und Pflicht und Ehre und Treue,
die alten Vokabeln erklingen aufs neue.
Sie sind entzaubert, doch sind sie jetzt
in ihre Rechte erst eingesetzt.
Wir haben im Wandel der Zeiten erfahren,
daß sie die Helfer der Hilflosen waren.

Wir wurden verraten von A bis Z -,
die Treue machte es wieder wett.
Wir wurden der Schwäche anheimgegeben -,
kämpfend und ringend konnten wir leben.
Befohlene Pflichten halfen uns nicht -,
da hielten wir uns an unsere Pflicht.

Wir haben erprobt an der Höllenpforte
das falsche Pathos der großen Worte.

E. Hartwig, (v550002g.txt)

Eigentum I

Dieses helle Licht
gäb's für uns Menschen nicht,
wäre nicht die nächtliche Pracht,
die erst den Grund des Hellen macht.

So ist's denn auch mit allen Dingen,
die nie nach einer Seite zwingen.
Es ist ein Wechselspiel des Gleichen,
wo alle Dinge sich erreichen.

Mein Eigentum besteht darin,
daß ich nichts als das Ganze bin.

E. Hartwig, 3.1.1955 (v550103g.txt)

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VOR SONNENAUFGANG

Das Gold des Tages laß in dich hinein.
Ich meine jenen goldnen Frührotschein,
der uns die Nacht so lieblich zart erhellt,
der uns so funkelnagelneu vom Himmel fällt.

Den Duft des Tages laß in dich hinein,
so würzig, herb,und doch so mild und rein.
Wie haucht der Morgen uns so kräftig an,-
den Duft des Tages laß an dich heran.

Den Laut des Tages laß in dich hinein.
Den Ton, wenn nun der goldne Frührotschein
am Himmel aufzieht in erhab'ner Pracht
und alle Wesen heimlich jauchzen macht.

Und schmecke, fühle, denke, wie der Tag erneut
des Lebens Puls, und wie sein Licht erfreut
was aus ihm stammt mit seiner Augen Licht -
und fürchte darum Nacht und Dunkel nicht.

E. Hartwig, 30.04.1955 (v550430g.txt)


Immer wenn sie leben .....

Abkömmling des Urschleims,
Apparat für Bewußtsein,
keine Schwachheiten,
bilde dir nichts ein.

Bleib bei deinem Leisten,
glaube nicht,
du könntest etwas sein.

Sei edel in deinem Weltschmerz,
das macht sich gut.
Doch glaube nicht,
du könntest etwas sein.-

E. Hartwig, 1950/1960 ? (v550505g.txt)

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Körper - Geist

Das Reich der Sinne will uns mahnen,
in ihm des Geistes Macht zu ahnen.
Und nur der allerreinste Sinn
führt uns zum Geiste selber hin.

Wollen wir im irdischen Leben
nach reinen Tönen immer streben,
werden wir im Reich der Sinne
des wahren, klaren Geistes inne.

E. Hartwig, 9.5.55 (v550509g.txt)

Kraft und Stoff

Mit jedem Wesen läuft die Erde fort,
mit jedem Baum reckt sie sich auf.
Sie schwebt herum mit jeder Wolke dort,
mit jedem Wasser nimmt sie ihren Lauf.

Und ist doch nur das Eine, was sich regt
und was den Stoff aus seiner Ruhe treibt.
Es ist das Eine was sich selbst bewegt
und was dabei doch in sich selber bleibt.

E. Hartwig, 12.5.55 (v550512g.txt)

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AUFBLICK

Der Erde äuß're Hülle
ist zauberischer Dunst.
Hier übt des Lichtes Fülle
am Stoffe seine Kunst.

Der Wolken lichte Formen,
des klaren Himmels Schein,
sie sind die schönsten Normen
auch für des Menschen Sein.

Der Erde letzte Hülle
ist farbenreicher Glast,
ist himmelhohe Stille,
ist Schwinden jeder Last.

E. Hartwig, 15.05.1955 (v550515g.txt)

Schrankenlos

Hast du die See gesehen,
wenn sie ein Schiff zerschlägt?
Schäumende Fahnen wehen,
keine Seele sich regt.

Hast Du die Glut empfunden,
die auf den Urwald brennt?
Eins um zahllose Stunden
brütet das Element.

Hast du im Sandsturm gelegen,
sandiges Singen im Ohr?
Stoffe und Kräfte bewegen
sich im ewigen Chor.

Die Natur hat niemals geschlafen.
Sie ist immer nur da.
Sie ist immer den Braven
immer den Bösen ganz nah.

E. Hartwig, 55/6

(Fassung von 1974)
(In der letzten Strophe standen
ursprünglich statt "Die Natur"
und "Sie" jeweils "Gott")
(v550600g.txt)

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Die Forderung des Tages

Die Welt bringt soviel Neues,
wir aber sind so alt.
Die Welt sagt; Tempo, Tempo!
wir aber machen halt.

Wir wissen nicht zu hören
wie die Sekunden gehn.
Wir machen heute einen Schritt
und bleiben morgen stehn.

Wir müssen endlich wissen:
Die Welt geht Schritt für Schritt.
Wir wollen endlich lernen:
Wir müssen alle mit.

E. Hartwig, den 18.6.55 (v550618g.txt)

K W A T S U

Schuld zu tragen sei dir leicht,
bist du doch im Bilde.
Sachlichkeit hast du erreicht,
führst sie nun im Schilde.

Weißt, ein Prügelknabe ist
erster Schritt zum Neuen.
Kennst Person und ihren Mist,
brauchst sie nicht zu scheuen.

Schlage deine Augen auf
nur zu neuen Zielen.
Zahl persönlich gerne drauf,
Sachlichkeit zu fühlen.

E. Hartwig, 26.7.55 (v550726g.txt)

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Fortschritt

Die Welt bringt soviel Neues,
Wir aber sind so alt.
Die Welt sagt: Tempo, Tempo!
Wir aber machen halt.

Wir wissen nicht zu hören
Wie die Sekunden gehn.
Wir machen heute einen Schritt
und bleiben morgen stehn.

Wir müssen endlich wissen:
Die Welt geht Schritt für Schritt.
Wir wollen endlich lernen:
Wir müssen alle mit.

Emil Hartwig, 13.8.55 (v550813g.txt)
(Aus einer Postkarte an Prof. Max Hüttisch)

Lebenslied

Das sind die Töne, die heim uns rufen,
Kreaturen singen so hell, -
langsam gehen wir tönende Stufen
bis zum Reiche der Mütter, zum Quell.

Das sind die Töne, die lassen erklingen
alles, was Seele an Seele so liebt,
die uns Lieder des Lebens singen,
das alles vergißt und alles vergibt.

E. Hartwig, 29.8.55 (v550829g.txt)

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Freiheit wozu ? Nietzsche

Was sind wir ohne Reize von uns zum andern Teil ?
Die Andern sind uns ohne reize nichts.
Und alle Wünsche von Persönlichkeiten,
die Reize dieser Welt zu überschreiten,
ändern an der Wirkung dieser Reize nichts.

Verfeinert und gesteigert wurde nur
die Kraft der Reize durch die Stoiker,
und alle Mühe einsamer Asketen,
Gelübde, Wallfahrt, Schweigen oder Beten,
hatten das Ergebnis nur der Stoiker.

Die sich den Reizen aller Welt verschlossen,
die haben sie in Wahrheit erst genossen.
Mönche und Nonnen, die in heißem Ringen
um Heiligkeit auf Buddhas Spuren gingen,
verwandelten in Heil der Erde Wehe,
einsam im Dschungel und auf Bergeshöhe.
Sie lebten ganz der Kunst und dem Gedenken
an Buddha und sie durften sich versenken
in Herz und Sinn und Geist und Ziel der Zeit, -
sie hatten sich vom Reiz zum Reiz befreit.

Was sind wir ohne Reize von uns zum andern Teil ?
Die Not, das Leid erhöh'n nur den Genuß.
Und alle Wünsche von Persönlichkeiten,
die Reize dieser Welt zu überschreiten,
steigern nur des Lebens Selbstgenuß.

EH; 3.9.55 (v550903g.txt)

Sie spielen sich ab

Denn jede Sache hat Geburt und Grab,
sie hat zwei Enden und sie spielt sich ab.

Auch wenn sie Köpfe hat und Arm' und Beine,
mehr oder weniger Enden hat sie keine.

ob Mensch, Baum, Stein - in jedem Falle:
den Anfang und das Ende haben alle.

Das heißt: die äuß're Form nur kommt und geht,
die inn're Bildekraft der Welt besteht.

Und diese Kraft wird stets aufs neue machen
die Welt der Lebenden, die Welt der Sachen.

E. Hartwig, 4.9.55 (v550904g.txt)

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Der Götterfreund

Entzaubert ist die Welt,
nun ist sie wahr,
Der Himmel ist durchschaut,
nun ist er klar.

Der Mensch ist ferner nicht
in Dunst gehüllt,
Klar sieht er nun sich selbst
und sinnerfüllt.

Er kennt als Faktor sich
im Spiel der Welt
und hat, wie Gott, sein Sach'
auf nichts gestellt.

E. Hartwig, 9.9.1955 (v550909g.txt)

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Fliegen

Die Fliegen zu verscheuchen
sei dir vergeb'ne Müh,
sie kommen immer wieder,
drum lasse sitzen sie.

Auch Menschen lasse sitzen
und quatschen spät bis früh,
betrachte sie wie Fliegen
und lasse quatschen sie.

E. Hartwig 25.9.55 (v550925g.txt)


T e u f e l s k r e i s

Von Geistern und Kräften sind wir umgeben.
Selber in Geist und Kraft wir leben.
Von Geistern wirst du angefaßt,
eh du es recht begriffen hast.-

Bist selber Geist, bist selber Kraft,
der selber Weg und Werke schafft.
Bleibst du nur dir selber treu,
werden böse Geister scheu.

Bei dir allein du sicher bist
und wenn die Welt voll Teufel ist.

E. Hartwig 26.9.55 (v550926g.txt)

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MEIN DEIN SEIN

Beschränkt sei auf dich selber,
auf deine heilige Ruh,
drück deine tausend Augen
bis auf das eine zu.

Sei völlig hingegeben
dem Nichts das dir geschieht,
dann tönt das ewige Leben
in deinem kleinen Lied.

E. Hartwig, Okt. 1955 (v551001g.txt)


Vidimus quantum satis est

Eine kleine Bühne,
eine frohe Miene,
das ist schon genug.

Leben, leben, leben,
sei es auch daneben,
das ist nie genug.

Und der Weltgeist setzt sodann
diesen Akt noch einmal an, -
ist es nun genug ?

E. Hartwig, Okt. 1955 (v551002g.txt)

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Das große Spiel

Wenn etwas ist, dann ist es das Gefühl
der Einheit in dem großen Weltenspiel.

Wenn etwas ist, dann ist es, daß wir wissen,
daß wir in einem frei sind und im andern müssen.

So sehen wir uns denn im ganzen an,
was niemals endet und was nie begann.-


E. Hartwig, Oktober 1955
(v551003g.txt)

Das Ganze

Sind Unterschiede in der Sache nur begründet,
ist's Harmonie, was sie zum Ganzen ründet.

In Teilen, die vorzüglich sind gestaltet,
der Geist nicht mehr wie in den andern waltet.

Was in den Dingen scheinbar miteinander streitet,
ist das, was sie zum großen Ganzen weitet.

Das eine ist's, das andre ist's nicht minder,
denn so, nicht anders, will es seine Kinder.

E. Hartwig, Nov. 55 (v551101g.txt)

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NIX

Was heißt erkennen? - Was man so erkennt.
was man mit einem Bild, mit einem Namen nennt,
trifft jedesmal daneben.

Drum weg mit Wort, drum weg mit Bild,
der Sinn der Sache wird erfüllt,
nur wenn wir selbst ihn leben.

Emil Hartwig, Berlin-Steglitz, 3.11.55 (v551103g.txt)


Komödie der Sitten

So mancher liebe, gute Mann
glaubt wunder was er machen kann.
Da sind wir gar nicht bange,
Das können wir schon lange.

So manche liebe, gute Frau
macht bei den kleinsten Dreck: Wau Wau!
Da sind wir nicht verlegen,
wir können selber fegen.

Wurmt es den Leuten im Gedärm,
dann machen sie Theaterlärm.
Die andern anzuklagen
treibt sie vielleicht der Magen.

Geduld! Bleib nur in deinem Haus!
Der größte Schreier schreit sich aus.
Verliert man die Geduld,
bekommt man auch die Schuld.

E. Hartwig, 24.11.55 (v551124g.txt)

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Man ist nur einer

Man ist nur einer
und zwar ein kleiner.
Man kann von sieben Sachen
stets nur eine machen.

„Nicht stocken darfst du, vor nicht eilen“, -
das rät uns Goethe unterweilen.

Der Lazzaroni sagt gelassen:
„Ich will die ganze Zeit verprassen.
Nicht stocken darf ich? Vor nicht eilen? -
Die Zeit wird alle Übel heilen.
Ich plage mich mit keiner Frage,
sitz in der Sonne alle Tage.
Mein Weib, das wollte mit mir raufen,
Die Kinder haben sich verlaufen. -
Was tue ich für die Kultur? -
Ich armer Teufel lebe nur
und stelle fest, daß dieses eben
der Witz des Lebens ist, zu leben.“






E. H. 08.12.55
(v551208g.txt)

Dem Goetheleser

Wenn man ihn will mit Hühneraugen lesen,
dann kann man auch an Goethe nicht genesen.

Ein jeder prüfe sich und wie er's treibe,
probiere Goethe aus am eig'nen Leibe.

Und sage dann sich nach diversen Jahren,
ob gut, ob schlecht mit Goethe er gefahren.

E. H. 08.12.55
(v551209g.txt)

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Mit verteilten Rollen

Sei dem nun immer wie ihm wolle,
es spielt doch jeder seine Rolle.
Das zeigt, daß keiner wirklich frei
in seiner Lebenshaltung sei.

Denn so und so muß man sich geben,
will man im Menschenkreise leben,
Und jener Mensch ist unbeliebt,
für den es keine Rolle gibt.


E. Hartwig, 1955/1956
(v551212g.txt)

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