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Berlin, den 29.Juni 1912

S.436 - Die Zukunft.

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Altmeister Hittorf hat damals über ihn gesagt: „Dem gottbegnadeten Seher des Alterthums vergleichbar, welcher die dem gewöhnlichen Sterblichen verhüllte Zukunft seines Volkes klar übersah, vermochte Van 't Hoff fast im Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn tief in das Innere der Natur zu schauen und Beziehungen von gewaltiger Tragweite zu erkennen. Wie auch immer in der Folge die Entwickelung der organischen Chemie sich gestalten mag: seine Theorie vom asymmetrischen Kohlenstoff und der tetraedrischen räumlichen Lagerung der verbundenen Atome wird stets eine geniale Leistung bleiben;

S.437 - Die Zukunft.

und die zahlreichen Folgerungen, welche das Experiment noch fortwährend bestätigt, sind als unvergängliche Errungenschaften der Wissenschaft gesichert. Noch überraschender und unerwarteter waren die Entdeckungen, welche er in der physikalischen Chemie machte. Kein chemischer Prozeß ist so lange bekannt und so oft veranlaßt wie die Auflösung eines Stoffes in geeignetem Lösungmittel. Wässerige Lösungen nehmen wir ja täglich in großer Zahl als Nahrung zu uns und alle Vorgänge im thierischen wie pflanzlichen Organismus werden durch solche vermittelt. Obschon daher seit den ältesten Zeiten die Menschheit mit dem Lösungvorgang empirisch vertraut war, blieb dennoch kein chemischer Prozeß in theoretischer Hinsicht dunkler. Die Wissenschaft hatte über ihn nur Regeln mit zahlreichen Ausnahmen, kein allgemeines Gesetz, bis Van 't Hoff vor etwa fünfzehn Jahren die Rolle des osmotischen Druckes gelöster Substanzen hier erkannte. Er fand für ihn die selben einfachen Gesetze, welche der Druck der Gase befolgt, und wußte mit Hilfe der halbdurchlässigen Wände in thermodynamischer Weise Schlüsse zu ziehen, welche mathematischer Sicherheit sich erfreuen. Der Hinweis auf diese beiden großen wissenschaftlichen Thaten wird schon genügen, um den Stolz der Gesellschaft auf ihren Ersten Vorsitzenden*) zu rechtfertigen."

Utrecht, Professor Dr. Ernst Cohen


*) Akademie der Wissenschaften zu Berlin

(Jacobus Henricus Van 't Hoff erhielt als erster den Nobelpreis für Chemie.)