J. W. Goethe / St. George

Es ist chaotisch Dies und Jenes,
wir selbst sind Chaos auch in manchem Stück;
doch bildet Chaos für den klassisch Schönen
und mit sich Einigen das ganze Glück.

Auf diesem Piedestal des Unvollkommenen,
des mit sich Streitenden, da stehe ich.
Harmonisch einig, Chaos -- Überwinder,
Selbstherrscher, Androgyn, so nenn' ich mich.

E. Hartwig, 1951 (v510003g.txt)

Gefühl ist alles,
Schall und Rauch.

In einem Märchen lebe ich. Kann es denn sein,
daß all dies wirklich ist? -- Der ferne Klang ...
Walküre ... Götterdämmerung ... und dann
ein Knopfdruck, der ins tiefste Weltmeer mich versenkt.

Wie ein Delphin bin ich im Meer geborgen,
wie einen Vogel trägt mich frei die Luft.
Der Berg, der Fluß, die Wüste, ihnen allen
bin ich vertraut, bin eins mit aller Welt.

Erlebnis, vom Bewußtsein aus gestaltet,
es ist die Reise, die kein Ende hat.
Sie dringt in alles vor und dieses Alles,
das ist so viel, so schrecklich und so schön.

Und dies Bewußtsein ist nur ein Vibrieren
von feinsten Stoffen, Nerven und Organen,
die sich in alle Winde frei verteilen,
wenn die Person verschwand, die dieses Märchen war.

E. Hartwig, 30.1.74 (v740130g.txt)

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Interessen hier gehen auf Kosten von Interessen dort.
Ohne gewisse Einseitigkeit entsteht nichts.
Einseitigkeit im besten Sinne aber macht kooperativ,
den innersten Machtcharakter des Lebens zu leugnen ist zwecklos.
Intelligent sein, heißt gleichgewichtsnah zu sein.

E. Hartwig, 1960 (v600001a.txt)

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Evolution bedeutet letzten Endes optimieren. So ist auch unser Tun optimieren, wenn es zielgerichtet ist. Auch Umwege sind dann oft zielgerichtet. -- Wo entwickeln sich Instrumente, Geräte, Verfahrenstechniken, z. B. Arbeitsweisen durch viele Handhabungen (Versuche und Gedanken) hindurch schließlich optimal. Es läßt sich daran für den Augenblick dann nichts mehr verbessern. Man vergleiche den Zeppelin oder den Luftballon von Anbeginn bis heute.
Und morgen? -- Übermorgen? --

Das Optimieren höret nimmer auf, solange es hier die zweibeinigen Tiere gibt.

Die äußeren, die inneren Verhältnisse ändern sich ununterbrochen. Das führt notgedrungen zu Anpassungen, Änderungen, Auf- und Untergängen.-

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Drei Zigeuner fand ich einmal
liegen an einer Weide,
als mein Fuhrwerk mit müder Qual
schlich durch die sandige Heide.

Hielt der Eine für sich allein
in den Händen die Fiedel,
spielte, umglüht vom Abendschein
sich ein feuriges Liedel.

Hielt der Zweite die Pfeife im Mund
blickte nach ihrem Rauche,
grad' als ob er auf Erdenrund
nichts zum Glücke mehr brauche.
Und der Dritte behaglich schlief
und sein Zymbal am Baum hing,
über die Seiten ein Windhauch lief,
über sein Herze ein Traum ging.

An den Kleidern da trugen die Drei
Löcher und bunte Flicken,
aber sie boten trotzig frei
Spott den Erdengeschicken.

Dreifach haben sie mir gezeigt,
wenn das Leben uns nachtet,
wie mans verraucht, verschläft, vergeigt,
und wie mans dreimal verachtet.
Nach den Zigeunern lang noch schaun
mußt ich im Weiterfahren.
Nach den Gesichtern dunkelbraun,
nach den schwarzlockigen Haaren.

Nikolaus Lenau

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Wilde Gesellen vom Sturme verweht,
Fürsten in Lumpen und Loden,
ziehn wir dahin wie das Herze uns steht,
ehrlos bis unter den Boden.
 
Lumpengewand in farbiger Pracht
trefft keinen Zeisig ihr bunter.
Ob uns auch Speier und Spötter verlacht,
uns geht die Sonne nicht unter.
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Goethe: " ... so wunderbar ist das Leben gemischt ..."

Da es im Leben nur behelfsmäßige Lösungen gibt (und da immer viele Wege nach Rom führen), kommt es nicht darauf an verheiratet, ledig, oder schwarz bzw. weiß zu sein, sondern es kommt im Leben nur darauf an, das kleinere Übel zu wählen.-

Leben heißt zugrunde gehn
dabei jedoch die Welt zu sehn,

Dabei ist alles das verkehrt,
was uns gehört, was uns beschwert.

Eitelkeit von hinnen fahre !
Bewußtsein ist das einzig Wahre !

E. Hartwig, 27.12.74 (v741227g.txt)

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Volksdienst
Emil Karl Hartwig, 1873 - 1943, (M.d.R.)


Wie jeder Mensch ganz unnachahmlich ist,
so war auch er als Unikum geboren.
Er war ein Wesen ganz besonderer Art.

Als Kind schon fast auf sich allein gestellt
war er der ärmste Knabe auf der Welt.

Da zog die Arbeit ihn in ihren Bann.
Das Tätigsein war für ihn Start und Ziel.

Des Weltkriegs Wut, die konnte ihn nicht fressen,
denn Bucklige, die fraß der Weltkrieg nicht.

So ging er aus des Krieges Konvulsionen
bereit zum Dienst an seinem Volk heraus.

Die kleinen Leute wählten ihn zum Führer,
ihr Sprecher sollte er im Reichstag sein.

Der Ärmsten einer, die es damals gab,
und wurde doch zum Vorbild für so viele.-

E. O. Hartwig jr., 12.11.98 (v981112g.txt)

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Apparat und Bewußtsein

Das Denken macht uns zu Herren der Welt,
erst Denken, dann Technik und Kraft.
Dem Mond zu fliegen ins Schwerefeld,
das hat das Denken geschafft.

Die Welt bleibt dennoch so wie sie ist
mit Thermodynamik und Tod.
Das Denken ist nur im Dunkeln ein Licht,
es wendet nicht unsre Not.

"Zu Herren der Welt", das ist nur ein Wort,
wie 'Gedanken', 'Wille' und 'Tat'.-
Wir leben, wir denken, wir gehen fort:

Bewußtsein und Apparat.

E. Hartwig, Berlin-Steglitz, 19.2.1975 (v750219g.txt)

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Sinn und Form

Das Gehirn, es ist zum Staunen,
was es faßt und was es kann.
Was die Sinne ihm Vermitteln,
wird zum Wissen, wird zum Werk.

Manches Kunstwerk wird geboren,
so in Tönen, so im Wort;
so in jedem Material
aus der Werkstatt der Natur.

Diese Farben ! Diese Töne !
Dies Gefühl von mir zu dir !
Wir erleben im Bewußtsein
eine zauberhafte Welt.

E. Hartwig, 7.11.98 (v981107g.txt)

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Natur und Kunst

Menschen können denken
und phantasieren dazu,
Ureigne Werke zu schaffen,
daß läßt ihnen keine Ruh'.

Ihr denken und phantasieren
probieren sie immer aus.
Weit braucht man danach nicht suchen,
es wurde so vieles daraus.

Man kann es überall sehen
in alter und neuer Zeit.
Das eigne Können und Schaffen
hat Menschen immer erfreut.

E. Hartwig, 9.11.98 (v981109g.txt)

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Ermüdung ist so schön! Allein,
wie schön mag dann der Tod erst sein ?
Was Spannung war ist alles fort,
nicht drückt mehr Zeit und Zweck und Ort.

Es mag so sein wie 'los' und 'frei'
und ein unendliches Dabei.
Nichts mehr von 'mir' und 'mich' und 'mein'.
Das ICH ist ALLES - GANZ - ALL-EIN.

Emil Oskar Hartwig (*1910 †2009), Bln.-Steglitz, 1951 (v510001g.txt)

Erstellt am 25.11.98 - Letzte Änderung am 03.03.2012.
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